Die Grenzen zwischen Content Marketing und Journalismus verschwimmen. Unternehmen bieten mittlerweile eigenen redaktionelle Produkte, die von denen des klassischen Journalismus kaum mehr zu unterscheiden sind. Das birgt eine Gefahr sowohl für die Meinungsbildung der Bürger als auch für den Journalismus selbst. Wir haben mit Marketing-Experten und Journalisten gesprochen und fassen hier die Erkenntnisse zusammen (die Original-Interviews findet Ihr auf unserer Dialogplattform Managerfragen.org).

Es gibt Begriffe im Alltag, die so oft und selbstverständlich gebraucht werden, dass man sich selten fragt, woher sie eigentlich stammen. So zum Beispiel das Wort „Seifenoper“.

Die ersten Seifenopern kamen aus den USA der 1930er Jahre; es waren flache, aüßert dramatisch-kitschige Radiosendungen. Diese wurden keineswegs von den Sendern, den Bürgern oder vom Staat finanziert – sondern von Unternehmen gesponsert. Anfangs besonders von solchen, die Waschmittel und Seife produzierten. So wurden in fast jede Sendung beiläufige Bemerkungen über die Großartigkeit der Seifenmarke des jeweiligen Sponsors eingebaut. Es entstand das Content Marketing: Eine raffinierte Form der Werbung; eine, in der Unternehmen ihre Produkte nicht aktiv in den Mittelpunkt stellen, sondern wie nebenbei von Protagonisten empfehlen lassen – eine Form der Werbung, die heute aktueller ist als nie.

Wer heutzutage im Netz nach Anregungen für den Campingurlaub im kommenden Sommer sucht, landet schnell auf einer Art Online-Magazin, das von geeigneten Urlaubsorten bis hin zu do`s und dont´s beim Zelten alles Wichtige beschreibt – und nebenbei Ausrüstungsgegenstände einer ganz bestimmten Outdoor-Marke empfiehlt. Erst auf den zweiten Blick erkennt der Leser, dass das Magazin gar kein unabhängiger Ratgeber ist, sondern vom besagten Outdoor-Verkäufer gesponsert wird. Ähnlich passiert das zum Beispiel bei Styling-Tipps: Ein Video, das die angemessen Garderobe für Vorstellungsgespräche diskutiert, stellt sich bei genauem Hinsehen auf einmal als Eigenproduktion einer Modemarke heraus. Content Marketing, also die Technik, Produkte und Dienstleistungen – mal offen, mal verdeckt – durch redaktionelle Inhalte zu bewerben, wird inzwischen von 88 Prozent aller Marken betrieben. Es kann uns online in allen möglichen Formen begegnen: in Texten, Bildern, Videos, Podcasts, Infografiken oder interaktiven Inhalten, die vor allem in sozialen Netzwerken geteilt werden. Content Marketing wird aber nicht nur im Netz betrieben, sondern beispielsweise auch in Printmedien. Manchmal werben Firmen nicht nur durch einzelne Texte, sondern durch ganze Publikationen (beispielweise das mobil-Magazin der Deutschen Bahn). Ein sehr bekanntes Beispiel ist sicherlich Red Bull, eine Marke, die über das Sponsoring von Extremsportlern sowie die Produktion von Adventure-Sport-Videos, -bildern und -artikeln ein ganzes Medienunternehmen um einen Energy Drink kreiert hat.

Zwar ist das Content Marketing keine neue Erfindung, aber es ist erst in den vergangenen Jahren sehr schnell sehr populär geworden. Das liegt vor allem daran, dass Konsumenten über immer neuere Techniken verfügen, die konventionelle Werbung blocken: „Immer häufiger werden Adblocker eingesetzt, um online die Anzeigen auszublenden. Gleichzeitig sinken die Auflagen von Zeitschriften und Zeitungen. Auf dem TV-Schirm findet die Werbepause immer seltener statt, weil die Zuschauer DVD´s oder Streamings nutzen.“, erklärt Klaus Eck von der Content Marketing-Agentur d.tales. Er sieht in der Strategie „ eine großartige Chance, Kunden direkt anzusprechen und mit attraktiven Inhalten zu erreichen.“

Eine praktische, neue Art der Werbung also? Patrick Breitenbach, Experte für Digital Brand Management, sieht das Ganze kritischer. Er versteht Content Marketing als eine Strategie, die „ganz bewusst darauf setzt, dass die Unterschiede zwischen Werbebotschaft und redaktionellem Beitrag verschwimmen.“

Thomas Feldhaus, Wirtschaftsjournalist und Experte für CSR-Berichterstattung, beschreibt es so: „Es geht [beim Content Marketing] nicht um gesellschaftliche Information und Aufklärung, sondern es werden Kunden beziehungsweise potenzielle Kunden adressiert.“ Das ist noch relativ unproblematisch, sofern ein redaktionelles Erzeugnis eines Unternehmens deutlich als solches gekennzeichnet ist. Besteht diese sogenannte Absendertransparenz nicht, ist Content Marketing nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb als Schleichwerbung zu bezeichnen.

Der Publizist und Medienkritiker Lutz Frühbrodt hält das Content Marketing für problematisch: „CM ist noch relativ neu und deshalb vielen Bürgern unbekannt. Sie erkennen oft nicht, dass sie auf einer Unternehmenswebsite gelandet sind, zumal wenn dies nicht in der Internetadresse angezeigt wird.“ Dadurch können sie sich für den Kauf bestimmter Produkte entscheiden, ohne zu bemerken, dass sie überhaupt keiner unabhängigen Empfehlung, sondern den Werbemaßnahmen eines Unternehmens folgen. Noch problematischer wird es, wenn Unternehmen nicht nur auf die Kauf-, sondern beispielweise auch auf die politische Meinung der Bürger subversiv Einfluss nehmen.

Die Kontroverse um das Content Marketing zeigt aber, neben der entstehenden Probleme für die Konsumenten, auch eine andere Problematik auf: Das langsame Verschwinden des klassischen Journalismus. Frühbrodt sieht im Content Marketing eine Gefahr für den unabhängigen Journalismus: „Die Schwächung der traditionellen Werbung vermindert die Einnahmen der klassischen Medien, während die kostenlosen Inhalte der Unternehmen verstärkt in Konkurrenz treten zu ihren Angeboten“

Nach Breitenbach allerdings gibt es ohnehin keinen unabhängigen Journalismus: „Journalismus war schon immer verwoben mit verschiedenen Interessen der verschiedenen Akteure. Die Disziplin der Public Relation wurde fast zeitgleich mit Aufkommen des Journalismus entwickelt und öffnete damit natürlich zugleich Tür und Tor für Propaganda und damit gezielte Manipulation der Öffentlichkeit. Auch das Geschäftsmodell des Journalismus in Form von Verlagen steckte von Anfang an in einer interdependenten Beziehung, also man war gegenseitig voneinander abhängig.“ Trotzdem verkörpert Content Marketing nochmals einen anderen Grad an Manipulation.

Thomas Feldhaus bemerkt dazu: „ Manche Unternehmensredaktion ist heute personell und finanziell deutlicher besser ausgestattet als dies für viele konventionelle Medien gilt.“

Es kann also passieren, dass Leser die von Firmen gesponserten Unterhaltungsangebote den unabhängigeren des klassischen Journalismus vorziehen und diesen damit dem Aussterben immer näher bringen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Unternehmen den Zeitungen die guten Journalisten regelrecht „wegkaufen“. So war es vor kurzem bei der Deutschen Bank der Fall war, die den Investigativjournalisten Jörg Eigendorf an die Spitze ihrer Kommunikationsabteilung stellte. Während Unternehmen die CM-Abteilungen mit fähigen Journalisten aufstocken, passiert bei den klassischen Medien genau das Gegenteil: Seit Jahren wird dort massiv Personal abgebaut, dadurch ist die Recherche für Beiträge oft oberflächig, die Qualität mäßig. Das führt letztendlich, zusammen mit der Unwissenheit über Content-Marketing-Methoden, zu einem erheblichen Vertrauensverlust der Bürger in die Medien.

Sollte Content Marketing deshalb eingeschränkt werden? Nein, sagt Klaus Eck: „Wenn es Unternehmen gelingt, auf diese Weise guten Journalismus zu verdrängen, ist das vermutlich ein Armutszeugnis für den guten Journalismus. Was nützt uns ein unabhängiger Journalismus, wenn niemand mehr bereit ist, dafür zu zahlen?“

Eine gewagte These, schließlich besteht der Anspruch des qualitativ hochwertigen Journalismus eben nicht in seinem Marktwert, sondern in seinem Wahrheits- und Informationsgehalt. Wer nicht will, dass ein solcher Journalismus nach und nach verdrängt wird, solle aber auch eine Zahlungsbereitschaft entwickeln, meint Breitenbach: „ Wer unabhängige Berichterstattung einfordert, muss eben auch bereit sein, mehr für diese Form der Berichterstattung zu investieren. Crowdfunding, Paywalls, Spenden, Stiftungen etc. wären ein solcher Ansatz, um sich von Werbung als einzigem Einnahmestandbein zu lösen.“

Auch in Bezug auf Content Marketing sieht er die Bürger in der Pflicht, denn der Staat kann wenig tun: Verbote sind rechtlich kaum machbar, da schließlich jedes Unternehmen eigenen Content produzieren und veröffentlichen darf. Maximal wäre man noch eine deutliche Kennzeichnungspflicht durchzusetzen, damit Bürger zumindest auf den ersten Blick erkennen können, zu welchem Zweck bestimmte Medieninhalte generiert werden. Deshalb bräuchten die Leser, so Breitenbach, vor allem eine höhere Medienkompetenz. „Der aufgeklärte, mündige Bürger wird Content Marketing viel eher durchschauen als Menschen mit mangelhafter Medienkompetenz und Bildung.“

Das meint auch Lutz Frühbrodt : „Die Bürger müssen erkennen lernen, dass Unternehmen mit ihren CM-Webseiten, -Videos und Facebook-Auftritten zwar durchaus nutzwertige Infos vermitteln können, diese aber immer mit einem spezifischen Interesse verbunden sind, nämlich ein Produkt zu verkaufen. Hier ist die Bildungspolitik gefragt.“

 

Managerfragen.org engagiert sich für eine transparente Dialogkultur, in der die Bürger nicht durch ungekennzeichnetes Content-Marketing in die Irre geführt werden. Wir setzen stattdessen auf direkte Gespräche zwischen Bürgern und Managern, durch die beide Seiten aufgeklärt und weitergebildet werden. Zusätzliche Informationen enthalten die gesamten Interviews mit Patrick Breitenbach, Lutz Eck, Thomas Feldhaus und Lutz Frühbrodt .

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