Die Schere zwischen Spitzengehältern und Durchschnittslohn wird immer größer. Das daraus folgende Gefühl von Ungerechtigkeit und die Vorwürfe einer Selbstbedienungsmentalität sind eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Schleswig-Holstein geht nun auf Landesebene mit einem Gesetz neue Wege und verpflichtet öffentliche Unternehmen die Verdienste ihrer Top-Manager transparent zu machen, um damit einen wichtigen Impuls im Markt zu setzen. Doch der Effekt bleibt gering. Ein junges Hamburger Unternehmen erprobt dagegen erfolgreich ein Modell, wie unternehmersintern Gehaltstransparenz nicht nur den Zusammenhalt und die Motivation stärkt, sondern auch die unternehmerische Verantwortung fördert.
UMFRAGE: Sollte die Gehaltstransparenz durch den Staat reguliert werden oder Entscheidung der Unternehmen bleiben?
Wie wäre es, täglich 9300 Euro zu verdienen? Was würden Sie kaufen, unternehmen, wohin würden Sie verreisen? Würden Sie das Geld sparen, spenden, verschwenden? Was für die große Mehrheit der Menschen ein unerfüllbarer Wunsch ist, ist für die Vorstandsvorsitzenden der DAX-Unternehmen Alltag: Sie verdienten 2015 im Durchschnitt 3,4 Millionen Euro jährlich, also etwa 9300 Euro pro Tag. Wir kennen diese Gehaltsklassen der Dax-Vorstände. Wir können mit den Zahlen rechnen, sie mit unseren Gehältern vergleichen, sie als gerecht oder ungerecht empfinden. Aber kaum jemand kennt diese Menschen persönlich. Viel interessanter wäre doch, zu wissen, wieviel Ihr eigener Chef verdient. Oder Ihre Kollegen. Oder die Menschen, die täglich Ihr Großraumbüro saubermachen. Höchstwahrscheinlich wissen Sie das nicht. Denn während es in anderen Ländern völlig normal ist, über das eigene Gehalt zu sprechen – oder, wie im Falle Schwedens, man mit einem Anruf bei der Steuerbehörde den kompletten Verdienst des Nachbarn erfahren kann -, ist hierzulande dieses Thema ein großes Tabu, das oft auch durch Geheimhaltungsklauseln in Arbeitsverträgen verstärkt wird. Doch um Ungerechtigkeiten in der Verteilung der Einkommen zwischen Chefs und Angestellten zu erkennen und dagegen vorzugehen, scheint es wichtig zu sein, dass Gehälter in beide Richtungen einsehbar sind.
Schleswig-Holstein setzt auf Transparenz
Einen Schritt in Richtung Transparenz hat vor kurzem das Land Schleswig-Holstein gemacht. Auf Grundlage eines neuen Gesetzes, das die Landesregierung im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht hat, müssen öffentlich-rechtliche Unternehmen die Gehälter ihrer Topmanager offenlegen. Im Juni legte nun als erste öffentlich-rechtliche Unternehmensgruppe die Sparkassen die Gehälter sowie die Altersbezüge ihrer Manager offen. „Wir setzen damit als Erste die gesetzliche Auflage des Landtages um, für mehr Transparenz bei den Gehältern und Versorgungsbezügen unserer Top-Manager zu sorgen“, so der Präsident des Sparkassen- und Giroverbands, Reinhard Boll. Das „Vergütungsoffenlegungsgesetz“ zwingt auch andere öffentliche Unternehmen wie Energieversorger oder Transportdienstleister, die Gehälter ihrer Vorstände zu veröffentlichen. Aber ist das eine sinnvolle Entscheidung?
Gegner der Veröffentlichung argumentieren oft mit der Privatsphäre der Manager – allerdings scheint es fragwürdig, ob das Wissen Anderer um die konkreten Zahlen den Managern tatsächlich schaden kann. Ob andererseits Transparenz wirklich etwas an der Einkommensschere zwischen Chef und Angestellten ändern würde, ist nicht bewiesen. Unternehmen erklären die hohen Gehälter oft mit dem Wettbewerbsdruck: Wenn sie nicht zahlen, wandern die besten Manager ab. Transparenz könnte nun diesen Effekt sogar verstärken, wie die taz berichtete, da Manager in diesem Falle genau erfahren könnten, wo sie mehr verdienen könnten und ihre Verhandlungsposition dadurch gestützt würde. Ob dieses Argument tatsächlich so stichhaltig ist, wie es sich anhört, ist allerdings nicht klar: In anderen Arbeitsgebieten sind gute Fachkräfte ebenfalls stark gefragt, ohne dass ihre Gehälter derart durch die Decke gehen würden wie bei den Firmenobersten. Letztendlich liegen wahrscheinlich beide Seiten falsch, und Transparenz würde die Gehälter weder sichtlich nach oben noch nach unten treiben. Aber: Wissen ist Macht. Ungerechtigkeiten zu erkennen ist der erste Schritt auf dem Weg, der zu ihrer Beseitigung führt.
Demokratische Gehaltsentscheidungen
Die Frage nach der Transparenz ist normalerweise eine nach außen gerichtete, geht es doch vorrangig um die Wahrnehmung von Managern in der Öffentlichkeit. Wie man sieht, sind die Vorbehalte groß und auch die Praxiserfahrungen noch zu gering. Das was auf Gesellschaftsebene noch wenig funktioniert, erproben jedoch bereits die ersten Unternehmen sehr erfolgreich. Eines der bekanntesten und ersten Unternehmen ist die Hamburger Digitalagentur Elbdudler. Hier war die Entscheidung für Gehaltstransparenz nur der Auslöser einer Diskussion über ein anderes, verwandtes Thema: Die Demokratisierung des Unternehmens. In dem jungen Unternehmen wissen die Mitarbeiter nicht nur, wer welches Gehalt bekommt, sie können auch darüber entscheiden und damit den Schritt vom Wissen zur Tat wagen. Wer eine Gehaltserhöhung möchte, muss seine Gründe zuerst vor bis zu fünf Kollegen darlegen und deren Zustimmung erlangen. Orientieren sollte er sich dabei an vier Fragen: „Was brauche ich? Was verdiene ich auf dem freien Markt? Was verdienen meine Kollegen? Was kann sich das Unternehmen leisten?“ Können die Wunschgehälter mit dem aktuellen Umsatz des Unternehmens nicht erreicht werden, so vereinbaren die Mitarbeiter ein Ertragsziel, bei dessen Erreichen die Gehälter erhöht werden. Geschäftsführer Julian Vestel fasst das Ergebnis auf Xing folgendermaßen zusammen: „Wir konnten unseren Umsatz – und vor allem den Ertrag – signifikant steigern. Und das nicht durch Ausbeutung der Mitarbeiter, sondern durch die Schaffung eines gemeinsamen Bewusstseins für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens.“
Könnte diese Idee zu mehr Gerechtigkeit führen? Die Theorie klingt gut, aber in Praxis kann es zu Problemen kommen: Das Gehalt würde noch stärker vom unterschiedlich ausgeprägten Verhandlungsgeschick der Angestellten abhängen, als es das schon jetzt tut. Zudem gibt es in traditionellen Unternehmen nicht nur Gehalts-, sondern auch Hierarchie bedingte Machtunterschiede, die es einigen erschweren könnten, beispielsweise einem Vorgesetzten die Gehaltserhöhung zu verweigern. Es müssten vermutlich unternehmensintern die Bedingungen geschaffen werden, die solche Schwierigkeiten umgehen. Lohnenswert wäre es, denn die Idee birgt ein unheimliches Potential in Zeiten, in denen die Partizipation immer bedeutsamer wird und alte Machtstrukturen immer stärker in Frage gestellt werden.
Ihre Meinung
In dem Ruf nach Gehaltstransparenz schwingt die Frage mit, was mit dem neu gewonnenen Wissen erreicht werden kann – eine gerechtere Einkommensverteilung, der Grundstein zu demokratischen Strukturen, oder doch nur immer wiederkehrende Zeitungsartikel, die über die immer größere Schere zwischen Arm und Reich berichten? Das können wir nur erfahren, indem wir die Gehaltstransparenz viel stärker implementieren. Wie das am besten funktionieren sollte, ist allerdings strittig. Sollten Unternehmen selbst entscheiden, ob die Gehälter ihrer Manager öffentlich gemacht werden, oder sollte dies die Politik bestimmen? Dazu möchten wir Ihre Meinung wissen und orientieren uns mit den sieben Wahlmöglichkeiten am Modell des Verantwortungspokers: Stimmen Sie hier ab.
Wir sind gespannt auf das Ergebnis.