Verfasser/in der Frage

21.02.2015 20:45:25

Lieber Herr Sattelberger,

zunächst einmal ganz herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft an einem gemeinsamen Interview und Austausch!

Kommen wir zu aller erst zu Ihrem neuen Buch, das Sie ja in dieser Woche in Berlin vorgestellt haben.
Warum der Titel „Ich halte nicht die Klappe“? Wollte Ihnen jemand den Mund verbieten oder reagieren Sie damit auf Kritik an ganz bestimmten inhaltlichen Positionen, die Sie vertreten?

Darüber hinaus die Frage, was treibt Sie in Ihrer neuen Lebensphase an, seitdem Sie als Personalvorstand die Deutsche Telekom AG verlassen haben, was möchten Sie bewegen, verändern und auch mit Ihrem neuen Buch vermitteln oder Anstoss geben? Und schließlich – was sind die Kernbotschaften Ihres Buches?

Beste Grüße,
Clemens Brandstetter

22.02.2015 16:34:46

Lieber Herr Brandstetter,

ich reagiere da gar nicht mit dem Titel, sondern ich beschreibe nur wie ich – nicht immer – aber häufig bin und kündige an, dies auch in Zukunft zu tun.

Warum das Buch mir persönlich wichtig ist, weil es mir erstens noch mal geholfen hat, zu erkennen, welche rote Fäden es in meinem Leben gab; zweites habe ich beurteilen können, ob ich diese Fäden für relevant halte für andere – einige davon ja. Und nachdem ich auch von den Reaktionen, die ich schon auf das Buch bekomme habe, die sagen, „gerade aus den Geschichten, Vorfällen, Situationen heraus, die Sie beschreiben Herr Sattelberger, und aus der Art wie Sie damit umgegangen sind, nehmen wir viel mit“.

Zu Ihrer Frage nach den Kernbotschaften des Buches: Erstes, dass die eigenen Handlungsspielräume größer sind als man denkt. Die Angst "des Elfmeterschützen vor dem Torwart", die viele Führungskräfte haben und die sie dazu bringt, zurück zu zustecken und sich zurückzuhalten; dass man mehr Spielraum hat, d.h. der Umfang der notwendigen Kompromisse und Anpassungen nicht so groß ist wie man sich das einbildet.

Das Zweite, die Entdeckung, dass die Welt des Top-Management viel „menschlicher“ und „unsachlicher“ ist als viele denken: So wird ja oftmals die Hinterbühne der Macht, versteckt hinter dem Vorhang, wo dann die Vorderbühne ist, wo das rationale Stück aufgeführt wird. So wenig wie es den „homo oeconomicus“ gibt, es auch den „Manager Rationalis“ nicht gibt.

Die dritte Thematik ist, dass es einem nicht Schaden muss, wenn man sich einigen seiner wichtigsten Werte treu bleibt.

Grüße,
Thomas Sattelberger

23.02.2015 21:22:26

Lieber Herr Sattelberger,

gibt es denn eine Abkürzung auf dem Weg der Erkenntnis oder muss jeder / jede für sich die eigene Ochsentour machen?

So sprechen Sie ja von der „Entzauberung der Macht“ bei der Daimler AG, dem Aufbruch bei Lufthansa aus „dem Tal der Tränen“, dem Arbeiten am Limit bei Conti und bei der Deutschen Telekom sogar von der Besteigung des Nanga Parbat.

Und: Was können / sollten andere Manager sich von Ihnen abschauen?

Grüße,
Clemens Brandstetter

24.02.2015 23:31:09

Hallo Herr Brandstetter,

erstes will nicht jeder Vorstand werden, zweites wird ja auch nicht jeder Vorstand. Insofern hat die Ochsentour ihre eigenen Logiken und Stationen als viele Menschen es haben wollen oder es erleben. Es geht gar nicht um die Reise von Siddhartha wie bei Hermann Hesse – vom jungen Rebellen zum weisen alten Mann. Das ist nicht die Tonalität des Buches. Man könnte im Grunde auch jede Phase nehmen, an der man sich selber spiegeln kann. Ganz abgesehen davon, macht jeder Mensch eh seinen eigenen Weg. Da gibt es keine Rezepte.

Zu Ihrer zweiten Frage. Eigentlich, die drei Themen, die ich schon benannt habe. Wenn ich jetzt aber mehr in die politische Rolle des Managers hineingehe, dann wäre es wichtig, dass deutlich mehr Manager sich auch als politische und nicht nur betriebswirtschaftliche Manager definieren. Unternehmen sind keine „selbst-sustaining entities“, sozusagen keine Raumschiffe, die sich allein im All bewegen, sondern sie sind eng mit ihrem Umfeld vernetzt. Die politische und soziale Sensorik von Führungskräften ist ungeheuer wichtig. Um erstes das Unternehmen balanciert zu steuern und in keine Unwuchten zu kommen. Zum zweiten um auch den Kontakt zu der Realität nicht zu verlieren. Gerade je weiter man aufsteigt in der Hierarchie, umso abgeschotteter wird man von vielen anderen Realitäten.

Und vielleicht sich wieder mehr zugestehen, idealistischer zu sein.

Grüße,
Thomas Sattelberger

26.02.2015 08:33:54

Hallo Herr Sattelberger,

um nun die Brücke zu schlagen von Ihren persönlichen Einblicken hin zu der grundsätzlichen Fragestellung, wie kann man von der Einzelperson aus in die Breite skalieren? Sie haben Vertrauen aufgebaut – so aus meiner Sicht -, weil Sie klar und eindeutig eine Sprache sprechen – stets Position bezogen haben. Für mich ist daher die Frage, gerade im Kontext der Vertrauenskrise und des Vertrauensverlustes – gemäß Edelman Trustbarometer ist gegenüber Vorjahr das Vertrauen in Manager nochmals um 25% gefallen und ist bislang auf dem niedrigsten Niveau überhaupt angekommen – wie kommt man aus der Spirale nach unten raus, so dass Vertrauen wieder entstehen kann?

Grüße,
Clemens Brandstetter

26.02.2015 18:36:17

Erstens ist es nicht nur ein Thema von Führungsverhalten. Abgesehen bin ich ja auch nicht immer derjenige gewesen, der immer ein tolles Führungsverhalten hatte. Ich war ja oft rau, ruppig und fordernd, ja ungebührlich fordernd und autoritär.

Die eine Thematik heißt an der eigenen Führungsperson arbeiten und als Maßstab sich selber in den Spiegel schauen können. Da bin ich ein karger Mensch: Arbeite an Dir.

Das zweite Thema ist – und da bin ich ein Strukturalist – in bestimmten gegebenen Strukturen ist Verhalten ganz automatisch so wie es ist. Da sind meine Möglichkeiten, gut zu führen außerordentlich kastriert. Da kann ich vielleicht noch im engen Gefängnis zu meinen Mitgefangenen außerordentlich höfflich und nett sein, aber ich sitze im Gefängnis.

Die ganze Frage ist, wie entwickeln wir die Unternehmen der Zukunft. Viele Führungskräfte spüren selber, dass die heutige Welt nicht mehr passt. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: ich kann dafür kämpfen, dass es in meiner jetzigen Welt besser wird oder ich verlasse meine Welt und baue eine andere Welt auf. Führungskräfte sind Organisationsbauer – im guten und schlechten Sinne und damit beeinflussen sie wie es anderen geht. Nicht nur ihnen selber.

Das dritte Thema ist, und da bin ein Freund des gezähmten Kapitalismus – wie das Beispiel der skandinavischen Länder zeigt, mit allen Schwächen, die diese Länder auch haben -, dass es durchaus Stakeholder-orientiertere Modelle von Wirtschaft geben kann.

Dass sind die drei Dimensionen: Hart an sich selber arbeiten. Zweitens, wie bauen wir die Organisationen der Zukunft und zum Dritten, welchen Einfluss nehmen wir als Zivilbürger auf die Ausrichtung der Gesellschaft.

Zuletzt bleibt zu hoffen, dass die vielen Initiativen, die es auf dieser Welt gibt, sich nicht in Egoismus und Kleinstaaterei verlieren, sondern sich subsidiär zusammenfinden.

Gruss,
TS

14.03.2015 11:21:34

Lassen Sie uns doch nun den Blick auf das Personalmanagement und HR Themen wenden und einige weitere grundsätzliche Aspekte aufgreifen. Zunächst die Frage, welche Neuerungen Sie im HR Management sehen und ob / welche guten Beispiele aus Ihrer Sicht gibt?

22.03.2015 21:22:08

Ich bin da eher anders aufgestellt: Die Personalmenschen, die verlieren sich im Augenblick in irgendwelchen Produkten, Services und Programmen. Und wenn sie denken, dann denken sie an ein neues Programm oder an einen neuen Prozess. Offensichtlich hilft das nicht der Erosion der Personalarbeit zu begegnen.

Das hat übrigens noch nie geholfen. Weil mehr des gleichen, nicht zu einer Änderung führt.
Man muss nüchtern sagen, die Personalfunktion steht wieder einmal an einem kritischen Scheideweg. Die Digitalisierung bietet wieder einmal die Chance, groß zu denken: die Arbeitswelt von morgen neu zu denken. Und dies ist nicht der Obstkorb für das Gesundheitsmanagement oder das Fitnesstraining.

Sondern das ist die Frage, wie baue ich eine gesunde Organisation. Das ist nicht das Re-Entry-Programm für Mütter, sondern das ist die Schaffung einer neuen Arbeitszeitkultur, die eine ganz andere Souveränität erlaubt im Umgang mit Zeit und Ort von Arbeit.

Im Grund ist jetzt wieder die Zeit „Mega“ zu denken.

Aktuell sehe ich dafür keine Beispiele. Ich sehe aktuell keine Personalfunktion, die groß denkt. Groß denken heißt nicht unbedingt groß handeln, sondern groß denken heißt zunächst einmal groß denken und dann kann man groß oder auch klein Handeln oder fünf mal klein Handeln, zunächst muss man aber erst einmal groß gedacht haben.

Ich sehe und höre nichts zu diesem Thema.

09.05.2015 10:27:44

Lassen Sie uns einen Schwenk zu anderen Themen machen. Warum kritisieren Sie das Thema Diversity so sehr? Warum sehen Sie die Umsetzung in den Unternehmen eher für ein Feigenblatt und weniger für einen substanziellen Kulturwandel?

10.05.2015 16:57:20

Zuerst einmal: Diversity wurde schon Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts zu einem strategischen Personalthema in vielen Ländern dieser Welt. Nur um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo wir in Deutschland stehen. Das Thema ist bei uns zur Gleichstellungsbeauftragten verkümmert. Die Frage ist, wo kommt die Lücke her? Und zweites wieso ist man immer noch irritiert? Man müsste ja meinen man hätte 20 Jahre bereits gelernt …

11.07.2015 16:10:25

CSR ist ja neben Diversity ein weiteres viel diskutiertes Thema. Wenn ich Sie aus anderen Medien richtig wiedergebe, sehen Sie CSR als soziales Gewissen der Unternehmens an, das von einer Abteilung übernommen wird, damit sich der Rest der Organisation dem operativen Tagesgeschäft zuwenden kann? Verantwortungsthemen werden auslagert, ohne am Kern etwas zu verändern…

26.07.2015 11:39:05

Ich kann nicht eine CSR Strategie oder Abteilung haben und die psychische Belastung der Mitarbeiter steigt ständig. Da hilft es nicht, wenn ich 50 Mill Euro an Ashoka gebe. Dann ist das wie Ablasshandel wie im Mittelalter.

CSR hat im engsten mit dem eigenen Geschäft zu tun hat, nämlich mit der Frage, wie behandele ich die Mitarbeiter, die die Produkte und Proszesse in der Hand haben, damit der Kunde zufrieden ist und zum Schluß als Nebeneffekt der Shareholder den im zustehenden Gewinn bekommt.

Das ist im engsten Sinne CSR. Wenn ich dann noch zusätzlich Mäzenatentum entfalte und eine Stiftung habe, dann ist das wunderschön.

Schlimm ist es aber, wenn ich zwar letzteres mache, aber nicht daran arbeite, damit die Stakeholder-Orientierung im eigenen Geschäft besser wird.

Adressat/in der Frage

Thomas Sattelberger

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