Verfasser/in der Frage

19.02.2016 11:01:30

Sehr geehrter Herr Bosbach,

in Ihrem Blog schreiben Sie über die aktuellen Veränderungen in der Arbeitswelt: „Fest- bzw. befristete Anstellungen heutiger Denkart werden immer weniger attraktiv erscheinen. Zu gering ist die Flexibilität dieser Strukturen zu groß ist der weiter wachsende Wunsch nach individualisierten Lebensmodellen.“ Diese Lebensmodelle zeichnen sich meinem Eindruck nach auch dadurch aus, dass sich Arbeits- und Privatleben immer stärker vermischen – vor allem auch aufgrund der technischen Möglichkeiten der Digitalisierung, immer und überall zu arbeiten (Home-Office, Skype-Konferenzcalls usw.). Die Nachteile dieser Entwicklung sind bekannt: Burnout, Überstunden, die ins Unendliche steigen, der Druck, ständig erreichbar sein zu müssen, und und und. Wie können (und sollten?) Unternehmensmanager Ihrer Meinung nach dafür sorgen, dass ihre Angestellten von der Digitalisierung profitieren und nicht darunter leiden?

22.02.2016 17:35:51

Sehr geehrte Frau Valeske,

Sie haben Recht, mit dem Zugang zum Internet, zu Social Media Plattformen und mithin neuen Arten der Kommunikation und Kollaboration wird immer mehr sichtbar, was andererseits für viele schon seit Jahren Alltag ist. Die immer stärkere Vermischung von Arbeits- und Privatleben.

In unserer Gesellschaft, in der sich lange Zeit sozialer Status über den Arbeitsplatz definierte, hatte und hat das zum Beispiel die von Ihnen angeführten fatalen Auswirkungen. Dieser Stachel sitzt tief und eine einfache Lösung kenne zumindest ich nicht. Andererseits würde bzw. wird ein Verharren in einen Belastungskreislauf münden den niemand aushalten kann, da die Dynamik und Arbeitsgeschwindigkeit in unserer Arbeitsumwelt zumindest auf absehbare Zeit weiterhin stetig zunehmen wird.

Dennoch gibt es eine „nicht ganz einfache“ Lösung. Da die Belastung am Ende immer eine persönliche Wahrnehmung ist (jeder geht anders damit um), ist es ratsam an zwei Stellen das Thema anzupacken. Zum einen auf Seite des Mitarbeiters / der Mitarbeiterin selbst. Eine bewusste Selbstreflexion über die persönliche Zielsetzung, die (sich kontinuierlich verändernde) Belastbarkeit und die vom Umfeld gegebenen und geforderten Rahmenbedingungen sind wichtig. Hier sind Familie, Freude oder auch ein professioneller Coach extrem hilfreich.
Auf der anderen Seite ist die Organisation massiv gefordert, sofern sie ein Interesse an der nachhaltigen Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters/ der Mitarbeiterin hat. Akut kann eine (übergreifende) Analyse der Stressbelastung helfen übermäßige Stressoren zu identifizieren. Zum anderen sollten – und dies im Kontext Zukunft der Arbeit vollkommen unabhängig von der Belastung einzelner – die in der Organisation implementierten Prozesse und Strukturen bewusst reflektiert werden. Die Fragestellungen dazu lauten zum Beispiel:
Gibt es nach Zeiten hoher Belastung ausreichend lange Ruhephasen, also Phasen in denen die Arbeitsbelastung bewusst für Tage bzw. Wochen niedrig gehalten wird, bis die notwendige Energie wieder vorhanden ist?
Werden die Arbeitsabläufe regelmäßig Reviews unterzogen um zu klären, ob diese noch zeit und bedarfsgemäß und vor allem auch zielgerichtet sind?
Herrscht eine ausreichende Transparenz über die Wichtigkeit bzw. Dringlichkeit von einzelnen Aufgaben? Die Eisenhower-Methode gibt hier eine Anregung zur Differenzierung.
Welches Menschenbild wird in der Organisation gepflegt, wie geht man miteinander um?
Welche Grundprinzipien gelten bei der Zusammenarbeit in der Organisation? Gibt es Prinzipien nach denen gearbeitet wird, oder nur Regeln die einzuhalten sind?
Die Fragenliste lässt sich hier, anhängig von der jeweiligen Situation und Organisation weiter verfeinern.

Grundsätzlich ist es aus Sicht des Unternehmens ohnehin hilfreich regelmäßig über die Störungen im „Gesamtsystem Organisation“ zu analysieren, also zu hinterfragen ob Kommunikation immer zielgerichtet stattfindet, Mitarbeiter das für sie individuell geeigneten Maß an Freiraum und Herausforderungen haben, und die Führungsmethoden und -systeme zur gemeinsamen Aufgabe passen.
So identifizierte Probleme werden in modernen und auf das Wohlergehen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausgerichteten Unternehmen auch gemeinsam thematisiert und diskutiert.

Dies sind alles keine Maßnahmen, die man mal eben und vollständig neben dem Tagesgeschäft einführen kann. Damit sind sie zugleich eine Mehrbelastung für alle Beteiligten. Andererseits steigt, wie anfangs gesagt, der Druck seitens des Umfelds kontinuierlich weiter und bringt Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen und damit auch die Gesamtorganisation damit immer schneller an die Belastungsgrenze. Die genannten Ansätze können hier auf breiter Front dazu dienen mit diesem Dynamik- und Komplexitätsanstieg besser umzugehen. Das Unternehmen kann dann mit den weiter steigenden Anforderungen nachhaltig und langfristig besser umgehen. Und das sollte das Ziel aller sein.

23.02.2016 22:53:13

Sehr geehrter Herr Bosbach,

vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Ich bin genau wie Sie der Meinung, dass das Problem sowohl von den Mitarbeitern wie auch vom Unternehmen angegangen werden muss. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es gerade in Branchen, in denen der Wettbewerb um Arbeitsplätze hoch und Festanstellungen eher Ausnahme als Regel ist, in der Praxis dann doch dazu kommt, dass eine Beförderung/Festanstellung demjenigen Mitarbeiter gegeben wird, der sich z.B. durch schnelle Reaktionen auf Nachrichten und ständige Erreichbarkeit auszeichnet. Glauben Sie, dass es helfen würde, wenn Unternehmen „Ruhezeiten“ (in denen die Diensttelefone ausgeschaltet bleiben, E-Mails nicht beantwortet werden, auch die Manager auf diese Weise vorbildhaft agieren usw.) propagieren? Oder sollte die Arbeitszeiteinteilung weiter individualisiert werden, so wie es der momentane Trend anzeigt?

01.03.2016 13:18:16

Sehr geehrte Frau Valeske,

Ich halte jedweder Maßnahmen in denen Mitarbeiter entmündigt oder auch nur bevormundet werden für grundlegend falsch.
In manchen Unternehmen geht es zu wie im Kindergarten. Da geben (bzw. müssen) Mitarbeiter jede Form von (Selbst-)Verantwortung und gesundem Menschenverstand und gesundem Menschengefühl an der Eingangstür abgeben und es wird erwartet, dass sie funktionieren. Das System bleibt solange bestehen wie der Deal "(Schmerzens-)Geld gegen Lebenszeit" als Überlebensnotwendig angesehen wird, bzw. man damit sie vermeintliche Sicherheit gewinnt, den Job zu behalten.

Spannend ist, dass Unternehmen und Führung, die so agiert sich so mindestens 40% der Leitungsfähigkeit der Mitarbeiter selbst nimmt. Die 40% nämlich die Arbeitskräfte einbringen, wenn sie sich in den Strukturen wohl fühlen und in denen Hemmnisse und Störungen bewusst abgebaut wurden.

Worauf ich hinaus will: Wichtig ist im Gesamtsystem ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass jeder/jede die individuelle Arbeitsmenge und die Arbeitszeiten so einteilen kann, dass man diese nach Maßgabe der eigenen Zielsetzung (und damit der Vereinbarung z.B. im Rahmen des Arbeitsvertrages) erledigen kann. Jede Regelk führt dazu, dass man sich als Regelanwender entmachtet und klein fühlt. Nutzt man hingegen Prinzipien, wie: "Wir lassen die Menschen arbeiten, wenn es ihnen am besten passt, so dass sie die gemeinsam vereinbarten Ergebnisse erreichen können." entsteht nachweislich mehr Leistungsbereitschaft und bessere Ergebnisse in Bezug auf Lebensqualität und die Zahlen, Daten und Fakten der Unternehmen.

08.03.2016 09:49:23

Sehr geehrter Herr Bosbach,

Die Zahl von vierzig Prozent finde ich beeindruckend und alarmierend zugleich. Unternehmen sollten sie als Ansporn nehmen, sich schnell vom Kindergarten-Status weiterzuentwickeln. Nun aber zurück zur Digitalisierung : Wie stehen Sie zu dem häufig genannten Bedenken, die Kommunikation über digitale Medien sei zu oberflächlich und führe letztendlich zur Verdummung der Gesellschaft?

18.03.2016 12:41:24

Sehr geehrte Frau Valeske,

Interessanterweise gab es diese Art von Bedenken – soweit sich heute nachvollziehen lässt – bei jeder neuen Kommunikationsform, die sich anschickte alte, gewohnte Systeme zu ersetzen. Der Buchdruck, das radio, Fernsehen, das Internet und jetzt soziale Medien. Sie alle brachten eine Innovation an den Start, die alte Strukturen und Denkweisen in Frage stellte. Sie alle haben dennoch ihren Weg gefunden.
Und selbst wenn einmal eine neue Technologie aufkäme, die uns, den Nutzern tatsächlich zu oberflächlich ist und zu unserer Verdummung führt, so liegt es wiederum in unserer eigenen Verantwortung diese so zu nutzen, dass sie Mehrwert für uns hat.
Am Ende geht es immer wieder um dieses Thema: Welche Art der Arbeit, welche Art der Kommunikation, welche Hilfsmittel (analog oder digital) kann ich so einsetzen, dass sie einen Mehrwert für mich bedeuten. Sei es weil ich mehr Information erhalte, weil ich gezielter agieren kann, weil ich besser, schneller oder mit mehr Reichweite kommunizieren kann, oder welche Vorteile es für mich ganz persönlich auch immer hat.

Das wiederum bringt mich auf eine anderes Thema: Kompetenzentwicklung. Hier liegt die eigentliche gesellschaftliche Herausforderung der nächsten 10 Jahre. Wir haben alle eine Vielzahl an Talenten und Kompetenzen, von denen wir nur wenig nutzen. Ein nutzbringender Umgang mit der (aus-)Wirkungen der Digitalisierung fordert von uns Kompetenzen wie Selbstreflexion, Offenheit, Selbst-Lernfähigkeit, Neugierde (falls man das eine Kompetenz nenne darf) und auch die Bereitschaft bewusst Verantwortung (für uns selbst und andere) zu übernehmen.
Hier gibt es viel zu tun.

11.04.2016 21:25:22

Sehr geehrter Herr Bosbach,

ich stimme Ihnen zu, dass Kompetenzentwicklung eine der größten und bedeutendsten Herausforderungen der näheren Zukunft ist. Im Bildungsbereich besteht ja aktuell die Diskussion, inwiefern diese Kompetenzen der nächsten Generation vermittelt werden sollen. Ich bin Studentin, und während bei uns in der Uni der Besitz von Laptop und immer mehr auch von Smartphone Voraussetzung für das Studium sind, waren sie in meiner Schulzeit eigentlich kaum Teil des Unterrichts gewesen. Das aber ändert sich momentan, und je nach Schule kann man da ganz unterschiedlich Trends beobachten, vom strikten Handyverbot bis zum kompletten Unterricht auf Touchpads. Was ist Ihrer Meinung nach der richtige Weg? Sollten Kinder erst ab einem bestimmten Alter (z.B. Teenager) im Unterricht an das Thema herangeführt werden, obwohl sie zuhause oft schon früher damit in Berührung kommen, oder sollten ab der ersten Klasse elektronische Geräte benutzt werden, auf die Gefahr hin, dass (Bücher-) Lesen und (handschriftlich) Schreiben zu kurz kommen?

Adressat/in der Frage

Guido Bosbach

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