Der Unternehmensberater Andreas Zeuch porträtiert in seinem neuen Buch „Alle Macht für niemand“ eine Reihe von Vorzeigeunternehmen, bei denen die Mitarbeiter mitentscheiden dürfen. Ein One-Size-Fits-All-Modell für die gesamte Wirtschaft will der Autor daraus aber keineswegs entwickeln. Unter „Unternehmensdemokratie“ versteht er vielmehr einen Management-Ansatz.

Wäre Dieselgate zu vermeiden gewesen, wenn im VW-Konzern andere Entscheidungsstrukturen geherrscht hätten? Wenn statt Effizienzfanatismus und Kommandokultur deutlich flachere Hierarchien und mehr Transparenz angesagt gewesen wären? Ein Zusammenhang drängt sich auf, denn auch bei anderen Konzernen wie der Deutschen Bank und Siemens dominiert der klassische Führungsstil – und es hat dort handfeste Verfehlungen gegeben.

Statt maximaler Kontrolle scheint in Deutschlands Unternehmen also eine Kultur des Mitentscheidens, der Transparenz und des Widerspruchs vonnöten zu sein – zumindest jedes Mal, nachdem es mächtig gekracht hat, erklingen solche Rufe. Wie nun auch wieder nach Dieselgate. Es wird wieder lebhaft diskutiert. Doch reicht es allein schon, zum Beispiel „flache Projektstrukturen“ zu installieren, um einem offenbar viel größeren, systembedingten Problem beizukommen?

Wohl nicht. In diese Richtung geht die Antwort des ehemaligen Telekom-Vorstands Thomas Sattelberger, der vor kurzem ein Buch mit dem allerdings etwas großspurigen Titel „Das demokratische Unternehmen“ herausgegeben hat. Denn DAS demokratische Unternehmen findet in dem Buch mitnichten statt. Ebenso wenig in dem Band „Alle Macht für niemand“ des freien Unternehmensberaters und Trainers Andreas Zeuch. Der Autor entwickelt nicht das eine große Modell der Unternehmensdemokratie, sondern berichtet von verschiedenen Beispielen, die laut Kapitel-Überschrift der „Inspiration“ dienen sollen.

Er interessiert sich weniger für die institutionelle Ebene (Aufsichtsrat, Betriebsrat), sondern konzentriert sich vielmehr auf Prozesse, die von offener Kommunikation und basisdemokratischer Entscheidungsfindung geprägt sein sollen. Er redet von „sich selbst organisierenden Netzwerken“ und hält Schwarmintelligenz bei allen Widrigkeiten doch auch für betriebswirtschaftlich effektiver als den „Tunnelblick der arroganten Expertokratie“ oder gar die Ein-Mann-CEO/Patriarchen-Diktatur.

Das mit Schwung und Engagement geschriebene Buch hat zwar implizit politischen Charakter, nähert sich dem Thema aber in erster Linie von der Managementtheorie und –praxis. Und deshalb richtet es sich vor allem auch an aufgeschlossene Macher und Unternehmer und lockt entsprechend zunächst mit Geld und Zahlen. So rechnet Zeuch vor, dass deutsche Unternehmen zwischen 2001 und 2013 konservativ geschätzt 1,3 Billionen Euro dadurch verloren haben, dass ein nicht unwesentlicher Teil ihrer Mitarbeiter innerlich gekündigt hat – was Zeuch, etwas großzügig freilich, auf mangelnde Mitsprache-Möglichkeiten zurückführt. Der Autor will allerdings beim schnöden Mammon nicht Halt machen. „Unternehmen sind keine Maschinen zur Gewinnmaximierung“, stellt Zeuch fest. „Es sind soziale Systeme, getragen von Menschen für Menschen.“ Für ihn geht es in allererster Linie „um die Welt, in der wir leben.“ Daraus entwickelt Andreas Zeuch sogar eine Art Vision: Unternehmen, deren Mitarbeiter Selbstwirksamkeit am Arbeitsplatz erfahren, könnten als „Demokratielabore“ fungieren und so der voranschreitenden Politikverdrossenheit entgegen wirken.

Dies klingt beim ersten Hören sehr reizvoll, bleibt aber vorerst noch ein ziemlich unrealistischer Gedanke, denn zunächst muss sich überhaupt erst einmal demokratisches Gedankengut stärker in der Unternehmenswelt ausbreiten und zur gelebten Normalität werden. Die von Zeuch recherchierten und porträtierten Unternehmen lassen sich an zehn Fingern abzählen, machen meist kaum mehr als 100 Millionen Euro Umsatz und sind nur Insidern bekannt. Und so ist der „Aufbruch der Unternehmensdemokraten“, wie ihn der Untertitel des Buches propagiert, weniger als Statusmeldung denn als Aufforderung zum Handeln zu verstehen. Was freilich den Rückschluss nahelegt, dass ein Buch wie das von Zeuch umso dringender, ja überfällig ist, wenn denn den Unternehmen in Sachen Demokratie auf die Sprünge geholfen werden soll. Und es soll ja. Denn es ist logisch kaum nachvollziehbar, dass die Politik und weite Teile der Gesellschaft demokratisch organisiert sind, während ein so lebensbestimmender Raum wie die Arbeitswelt seit Jahrhunderten weitgehend demokratiefrei geblieben ist.

Gelingt es nun Zeuch mit seinem Buch, seinen Lesern die Unternehmensdemokratie schmackhaft zu machen? Die am Anfang porträtierten Unternehmen wirken beeindruckend: So hat die Volksbank Heilbronn alle ihre Hierarchie-Ebenen unterhalb des weitgehend entmachteten Vorstands aufgelöst. Beim Autohändler Hoppmann aus dem Siegener Land ist das Unternehmensvermögen an eine Stiftung für soziale Zwecke übertragen worden, und die Mitarbeiter können von größeren strategischen Entscheidungen bis in ihre Arbeitsteams hinein mitreden. Bei dem Softwarehaus Haufe-Umantis werden alle Führungskräfte jährlich neu gewählt, die Teams ermitteln ihren eigenen Personalbedarf. Die folgenden Beispiele fallen indes weniger überzeugend aus. Ein Unternehmen bindet alle Mitarbeiter aktiv (auch mit Geld) in sein Ideenmanagement ein, ein anderes macht es ähnlich mit all seinen Workshops so, und wieder ein anderes betreibt ein „demokratisches“, genauer: partizipatives Gesundheitsmanagement.

Was all diesen Unternehmen immerhin gemein ist: Sie verfügen über ein positives Menschenbild, die Führung ist bereit zu offener Selbstkritik, Fehler von Mitarbeitern wie von Managern werden als menschlich und damit normal angesehen. Alle Firmen unternehmen redliche Anstrengungen, ein besseres Miteinander herzustellen und zur Humanisierung der Arbeit beizutragen. Was auch deutlich wird: Das Topmanagement, oft auch die Eigentümer gehen einen sehr großen Schritt, wenn sie Macht oder einen wesentlichen Teil davon abgeben. Und die Belegschaft muss ihrerseits bereit sein, diese Macht – verteilt auf viele Schultern – auch anzunehmen. Dies erfordert einen fundamentalen Kulturwandel im jeweiligen Unternehmen, der freilich sehr lange dauern kann.

Dabei wirft Zeuch zwar viele Fragen auf, geht dann aber nicht sehr ausführlich darauf ein. Welchen Ausweg gibt es zum Beispiel aus dem Dilemma, dass ein Vorstand demokratisch gefasste Entscheidungen seiner Mitarbeiter ausführen muss, für die er am Ende auch noch juristisch verantwortlich ist und für die möglicherweise sogar persönlich haftet? Wie lässt sich die Unternehmensdemokratie bei einer Übernahme verteidigen? Warum dies bei einem der porträtierten Unternehmen gelang und bei einem anderen nicht, lässt Zeuch offen. Auch von Problemen und Widerständen bei den demokratischen Prozessen ist kaum die Rede. Was quasi völlig außen vor bleibt: Wie verhalten sich die diese demokratisch verfassten Unternehmen am Markt? Handeln sie ethischer als ihre Konkurrenten?

Worauf Zeuch hinaus will, macht er im Schlussteil seines Buches deutlich. Er sagt zwar, dass es kein Best-Practice gebe und jedes Unternehmen seinen eigenen Weg finden müsse. Also präsentiert er auch kein kohärentes Demokratie-Modell. Als Kernbotschaft lässt sich dann aber doch herausfiltern, dass er den Unternehmen das Konzept der Soziokratie nahe legt, das – verkürzt gesagt – aus zwei Grundpfeilern besteht: Der eine ist das „systemische Konsensieren“, das Prinzip, das die Lösungsvorschläge mit dem geringsten Widerstand von der demokratischen Basis angenommen werden. Der zweite Pfeiler ist die Organisation in Kreisen, die personell miteinander verknüpft sind und so interagieren können. Zeuch hat also keinerlei sozialistische Anwandlungen, denen er schon früh im Buch eine klare Absage als „nicht zielführend“ erteilt. Vielmehr outet er sich als Anhänger der Systemtheorie.

„Entscheidungen bekommen experimentellen Charakter“, verkündet er in diesem Geiste. Um einen solchen mentalen Wandel in der deutschen Unternehmenswelt zu erzeugen, bedürfte es wohl einer mittelschweren Kulturrevolution.

Und dennoch. Es hat auch durchaus seinen intellektuellen und politischen Charme, sich dem Thema Unternehmensdemokratie aus dieser Perspektive zu nähern. Und wenn man schon das systemische Konsensieren zum Tragen bringen will, dann kann man wohl konstatieren, dass Zeuchs Vision unter allen noch so verschieden kolorierten Anhängern der Unternehmensdemokratie konsensfähig sein dürfte. „Die unternehmerischen Probleme, die wir schon haben und die noch auf uns zurollen werden, können wir nicht dadurch lösen, dass wir Facebook ins Unternehmen integrieren, Stellenanzeigen twittern und noch mehr outsourcen“, schreibt Zeuch am Ende seines Buches. „Eine Erneuerung der inneren Haltung und Kultur ist die wirkliche Innovation. In hundert Jahren vorwiegend demokratisch geführte Unternehmen vorzufinden ist eine deutlich würdigere und originellere Vision als die Besiedelung des Mars.“ Kann man da noch widersprechen?

 

Lutz Frühbrodt (* 1962 in Berlin) ist ein deutscher Publizist und Medienkritiker. Er lehrt als Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. (Wikipedia)

 

 

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Andreas Zeuch: Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten. Hamburg (Murmann) 2015, 25 Euro.

 

 

 

 

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