Der zweite Teil des MFO-Interviews!
Frau Hildebrandt über ihre Arbeit als Nachhaltigkeitsbeauftragte des DFBs, was Fußball eigentlich mit Nachhaltigkeit zu tun hat und die Bedeutung von Nachhaltigkeitsreporting – Viel Spaß beim Lesen!
Auf dem DFB-Bundestag 2010 wurden Sie in die DFB-Kommission Nachhaltigkeit berufen. Was konnten Sie aus der Krisenkommunikation bei Arcandor für ihre jetzige Rolle als Nachhaltigkeitsbeauftragte mitnehmen?
Den gesunden Menschenverstand und die Erkenntnis: „Da, wo es fließt, da gieß hinein; da, wo es stockt, da lass es sein.“
Wie haben Sie dabei den Wechsel von der Konzern- zur Verbandsarbeit erlebt?
Als Spiegelung des bereits Erlebten: Als das Nachhaltigkeitsthema beim DFB in die Verbandsstruktur implementiert war, verabschiedete sich die Person (Theo Zwanziger, Red.), die Wege für das Thema geebnet und es vorgelebt hatte. Das machte es für mich schwierig, zumal mir als Randfigur der „Stallgeruch“ fehlte. Auch sind große Organisationen oft starr und unbeweglich, was für meinen geistigen Bewegungsdrang oft eine große Herausforderung war. Die mehrstufige Managementstruktur zeichnete sich durch mehr Genehmigungsschritte und langsamere Reaktionen aus, und so bleiben viele Strategien wirkungslos oder nur gute Absichten. Zuweilen wird in komplexen Organisationseinheiten die Last der Entscheidung auf viele Schultern verteilt, um sie in der Unverbindlichkeit der Gruppe bequem abzulegen. Doch das entschuldigt nichts, denn Verantwortung reicht über die eigene Aufgabe hinaus, die einem unmittelbar zugewiesen ist. Wandel kann man nicht durch reines Verwalten entgegentreten. In einem wirklichen Entwicklungsprozess ist die Selbstorganisation aller beteiligten Akteure ein zentrales Element. Mir wurde aber auch bewusst, dass solche gewachsene Systeme Krisenzeiten besser überstehen als Organisationen, die ständigen Veränderungen ausgesetzt sind und eine gewaltige Umsetzungskraft aufgrund ihrer Größe und Ausdehnung haben. Ich erlebte das Gegenteil von Arcandor, wo die Organisation aufgrund der eigenen Instabilität auseinanderbrach in kleine Einheiten, in denen ich mich schnell und anpassungsfähig bewegen konnte. Hier wurden enorme Innovationskräfte freigesetzt, und es entstanden viele besondere Projekte, die aber häufig keine Wirkung erzeugen konnten, weil ihr Einflussradar nicht weit reichte oder zu kleinteilig blieb.
Was hat Fußball mit Nachhaltigkeit zu tun?
Die Vereine müssen ihre Bedürfnisse heute so befriedigen, dass in der Zukunft noch ausreichend Ressourcen für nachfolgende Generationen zur Verfügung stehen. „Gewinnen oder verlieren, das allein kann und darf es nicht sein“ war das Credo des ehemaligen DFB-Präsidenten Egidius Braun, der für den Verband die sogenannte Drei-Säulen-Theorie konzipiert hat: „Wir bekennen uns zum Leistungssport, aber in mindestens gleichem Maße zum Breitensport und zum sozialen Engagement.“ Ihm ist es zu verdanken, dass in den frühen Jahren des neuen Jahrtausends das soziale Engagement des DFB weiter institutionalisiert wurde. Als einer der ersten DFB-Funktionäre erkannte er die damit verbundenen Chancen, dass mit den wachsenden Einnahmen der Fußball sich auch der sozialen Integration und Gesellschaftspolitik widmen muss gemäß seinem Motto: „Fußball – Mehr als 1:0“. Brauns Nachfolger Dr. Theo Zwanziger verwies 2010 in der vierten „Kölner Sportrede“ des DOSB auf die integrative Kraft des Sports, die durch gesellschaftliche Verantwortung für soziales und ökologisches Engagement entsteht. Insbesondere in Zeiten der unaufhaltsamen Kommerzialisierung bieten Nachhaltigkeitsmodelle die große Chance, die gesellschaftliche Aufgabe für kommende Generationen zu prägen.
Die DFB-Nachhaltigkeitskommission wurde vom damaligen Präsidenten Dr. Theo Zwanziger einberufen, um neue Ideen zu entwickeln und dem Nachhaltigkeitsengagement des Verbandes ein schärferes Profil zu geben. Welche Bedeutung messen Sie diesem Gremium bei?
Jene, die Theo Zwanziger in diesem Gremium sah: Dass die Nachhaltigkeitsbewegung und deren strategische Koordination Routinen verändern kann. Das ist eine enorme Chance für jede Organisation, in der viele Initiativen, Projekte, Steuerungs- und Arbeitsgruppen unvernetzt nebeneinander stehen. Die Mitglieder der Kommission kamen aus verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens wie der Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Kultur und den Medien. Diese heterogene Zusammensetzung sollte dazu führen, dass innerhalb des Verbandes neue Denkansätze entwickelt und Herausforderungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Die Bedeutungsdimension dieses Gremiums hängt wesentlich von der Perspektive des Betrachters ab – als Grenzgängerin bin ich davon überzeugt, dass grundlegende Veränderungen auch außerhalb der eigenen Organisation beginnen. Die interne Sicht ist dagegen oft begrenzt, Fremde werden hier häufig als Störfaktoren wahrgenommen, die das System irritieren. Dass solche Einflüsse letztlich zu einer stabileren Harmonie der Organisation führen, ist gerade am Anfang von Prozessen kaum zu vermitteln, weil eine solche Erkenntnis Zeit und Veränderung im System braucht. So müssen sich alle Beteiligten verändern, um aus der Irritation eine Integration werden zu lassen.
Was macht in diesem Zusammenhang professionelle Nachhaltigkeitsarbeit aus?
Sie muss umsetzungsorientiert sein und dazu führen, dass die richtigen Personen das Richtige tun, um damit die richtigen Ergebnisse zu erzielen. Alle am Prozess beteiligten müssen erkennen, dass Nachhaltigkeit kein Trend ist, sondern eine logische Konsequenz, eine Lebenseinstellung, aber auch ein kontinuierlicher Such-, Lern-, und Verständigungsprozess, der niemals in einem eindimensional hierarchischen Kontext nur von Oben herab funktioniert. Auf jeder Ebene braucht es einen anderen Zugang und eine andere Sprache. Das wahre Umdenken ist ein langer Weg, der die Menschen an der Basis unbedingt mitnehmen muss, weil er sonst starr und ungreifbar bleibt. Deshalb ist Vernetzung untereinander wichtig und zuweilen auch Mut zum Querhandeln.
Wie wird beim DFB die Nachhaltigkeitsstrategie konkret umgesetzt?
Es wäre wünschenswert, wenn der erste DFB-Nachhaltigkeitsbericht Start für eine Strategieentwicklung ist, die vom Präsidium vorgegeben und mitgetragen wird. Dazu muss das Thema bei der obersten Führungsebene verankert und Teil der Verbandskultur sein. Es gibt viele Einzelmaßnahmen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit, aber es müssen auch Fortschritte, Fokusfelder und Ziele definiert werden, die für die Organisation besonders wichtige Felder als Schwerpunktthemen definiert.
Was hat den DFB dazu bewogen, seine gesellschaftlichen Aktivitäten erstmals in einem Nachhaltigkeitsbericht darzustellen zu wollen?
Der Bericht, der zum DFB-Bundestag im Oktober 2013 erscheinen soll, ist aus Sicht des Verbandes die logische Fortführung des DFB-Engagements und des eingeschlagenen Weges, der in der ersten Publikation „Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit“ von 2010 erstmals umfangreich dargestellt wurde. Es wird hier das vielfältige Engagement von der Nachwuchsförderung bis hin zur Unterstützung der Blindenfußballbundesliga gezeigt. Im Mittelpunkt stehen die Verantwortungsdimensionen Spielbetrieb, Wertevermittlung, Geschäftspolitik und Wohltätigkeit.
Welche Bedeutung hat das Nachhaltigkeitsreporting für Unternehmen und insbesondere Organisationen wie den DFB?
Begriffe sind oft schwammig – Zahlen nicht. Mittels Reporting werden diffuse Daten in klare, messbare Einheiten und Größen umgewandelt. Was sich nicht messen lässt, ist auch schwer zu steuern. Ein wesentlicher Teil des Nachhaltigkeitsmanagements ist deshalb das Erfassen, Beschreiben und Systematisieren von Kennzahlen und deren Entwicklung sowie künftiger Ziele dafür. Der DFB bildet seine Kennzahlen bis jetzt noch zu wenig systematisch ab. Es sind bereits Daten vorhanden, die eine Basis schaffen für eine Auswahl von Kennzahlen, die über einen langen Zeitraum hinweg zu einem vollständigen Kennzahlensystem wachsen können. Damit können Verbandsdaten zu aussagekräftigen Schlüsselinformationen verdichtet und miteinander verglichen werden. Problematisch ist im Hinblick auf die sozialen und kulturellen Aspekte der Nachhaltigkeit deren Mess- und Vergleichbarkeit (z.B. DFB-Kulturstiftung Theo Zwanziger). Im Gegensatz zu ökonomischen und ökologischen Aspekten sind Aktivitäten in diesen Bereichen weitaus schwieriger zu messen und zu vergleichen. Dennoch ist eine Mess- und Vergleichbarkeit verbandsweiter Aktivitäten zu diesen Dimensionen der Nachhaltigkeit unverzichtbar.
Vielen Dank für das Interview, Frau Hildebrandt!
Das Interview führte Julia Ebert (managerfragen.org)
Zur Person:
Dr. Alexandra Hildebrandt, Jahrgang 1970, ist spezialisiert auf die Positionierung nachhaltiger Unternehmen und Organisationen, ihrer Leistungen, Produkte und ihrer Kommunikation. Vom Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wurde sie 2010 in die DFB-Kommission Nachhaltigkeit berufen. Sie studierte Literaturwissenschaft, Psychologie und Buchwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und promovierte an der Universität Bamberg. Anschließend war sie viele Jahre in oberen Führungspositionen der Wirtschaft tätig. Bis 2009 arbeitete sie als Leiterin Gesellschaftspolitik und Kommunikation bei der KarstadtQuelle AG (Arcandor). Alexandra Hildebrandt ist Gründerin der Initiative „Verantwortung tragen“, einem Hilfsfond für regionale Nachhaltigkeitsprojekte der DFB-Stiftung Egidius Braun und Mitinitiatorin der Burgthanner Dialoge. Sie ist Herausgeberin und Autorin zahlreicher Sachbücher und von über 300 Fachbeiträgen. Zuletzt erschienen: „Gesichter der Nachhaltigkeit“ (mit Hauke Schwiezer). Weitere Informationen: www.gesichter-der-nachhaltigkeit.de