Der geplante Abbau tausender Arbeitsplätze von Siemens im Umfeld der Kraftwerks- und Antriebssparte führt zu einer harten, sich vor allem in den Medien abspielenden Konfrontation zwischen Siemens und Arbeitnehmervertretern. Auch Politiker bestimmen die Debatte um den Arbeitsplatzabbau, SPD-Chef Schulz greift an, Siemens-Chef Kaeser pariert umgehend. Dabei scheint die Sache betriebswirtschaftlich klar – das Geschäft in bestimmten Geschäftszweigen geht gravierend und langfristig zurück, also sind Produktionskapazitäten anzupassen, d. h. zu reduzieren. Eigentlich also eine Entscheidung, die generell dem Standard unternehmerischen Handelns entspricht. Dies gilt umso mehr für Siemens als einem seit Jahrzehnten im dynamischen Umbau geübten Konzern. Was also ist anders als sonst?

Manager DialogFragen danach, inwieweit z. B. die bisher vorliegenden Zahlen zu den Anpassungen realistisch sind, als auch, ob das Siemens-Management frühzeitiger auf die seit Jahren ersichtlichen Veränderungen hätte reagieren können, lassen sich zwar ausdauernd, aber sicher nicht abschließend diskutieren. Auch dann nicht, wenn selbst Wirtschaftsjournalisten von Handelsblatt und Manager Magazin aktuell diese Maßnahmen keineswegs als zwingend sehen und Siemens zudem vor Kurzem eine blendende Jahresbilanz vorgelegt hat.

Die damit entstehende Aufregung in der öffentlichen Diskussion berührt grundlegende Fragen der sozialen Verantwortung von Unternehmen. Zum Beispiel, wem ein Unternehmen mehr verpflichtet ist – den Arbeitnehmern, der Gesellschaft oder der Kapitalgeberseite. Und ob ein Unternehmen, besonders wenn es insgesamt sehr erfolgreich ist, seine Gewinnoptimierung auf Kosten des sozialen Einvernehmens beliebig vorantreiben kann. Gleichzeitig wird gefordert, dass mehr Manager wie Siemens-Chef Kaeser endlich „raus aus der Deckung“ kommen, sich offen Angriffen aus der Politik stellen und wirtschaftliche Notwendigkeiten offensiv auch in der Öffentlichkeit vertreten. Insgesamt läuft es auf Schlagabtausch und Polarisierung hinaus – das in weiten Teilen der Bevölkerung eh schon negative Bild einer kalt und unsozial agierenden wirtschaftlichen Führungselite wird bestätigt. Ebenso die in wirtschaftsliberalen Kreisen bestehende Meinung von populistisch agierenden Politikern ohne wirtschaftlichen Sachverstand und ohne Einsicht in die Situation global agierender Unternehmen. Da sind sie wieder: die Lager, die sich in öffentlichen Statements gegenseitig den sprichwörtlichen Schwarzen Peter zuschieben.

Bei genauerer Betrachtung scheint der Auslöser der Auseinandersetzung jedoch weniger das Was als das Wie. Sowohl die Arbeitnehmerseite als auch Politiker und Öffentlichkeit fühlten sich durch die Kommunikation der Siemens-Spitze überrumpelt und vor vollendete Tatsachen gestellt. Wörter wie „Vertrauensbruch“ oder „Aufkündigung der Partnerschaft“ deuten darauf hin. Es geht somit möglicherweise mehr um die Form der Zusammenarbeit, der Kommunikation von Siemens mit seinem Sozialpartner als auch mit der Politik und anderen Vertretern der Gesellschaft. Und weniger darum, dass Siemens seine Entscheidungen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten trifft. Eine Einschätzung, ob das Vorgehen von Siemens als ungeplanter Kommunikations-GAU oder als geplanter, zweckorientierter Zug zur Absteckung eines weiten Verhandlungsrahmens einzuordnen ist, ist hier nicht zu treffen. Anzumerken ist jedoch, dass der Siemens-Chef selbst mehrmals darauf hingewiesen hat, welchen sozialen Sprengstoff die durch die Digitalisierung bedingte Freisetzung von Millionen Arbeitskräften in der Zukunft enthält. Da nehmen sich die vergleichsweise wenigen Tausend Siemens-Mitarbeiter noch nicht mal wie eine Vorhut der in Zukunft Un- und Unterbeschäftigten aus. Die aktuelle öffentliche Diskussion, nicht zuletzt die Kritik an Siemens von fast allen Parteien im Bundestag, zeigt jedoch deutlich, wie hoch das Konfliktpotenzial in der Zukunft sein wird.

Es geht meist nicht darum, Managemententscheidungen und wirtschaftliche Notwendigkeiten anzuzweifeln und Bestrebungen von Unternehmen wie Siemens, ihre globale Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu erhalten, unter Generalverdacht zu stellen. Im Fokus der Diskussion muss vielmehr die Frage stehen, wie wirtschaftlich sinnvolles Vorgehen ohne blinde Flecken so ausgestaltet wird, dass soziale Kohäsion gewahrt bleibt. Es geht am Ende um die sogenannte Enkelfähigkeit –  d.h. die nachhaltige Zukunftsfähigkeit für das Unternehmen und für die Gesellschaft, in der das Unternehmen zu Hause ist. Ein darauf abzielender konstruktiver und zielführender Dialog kann nur mit den betrieblichen Sozialpartnern als auch zwischen dem Unternehmen und relevanten gesellschaftlichen Gruppen entstehen. Im Fachjargon heißt das dann Multi-Stakeholder-Dialog. Dialog ist jedoch weniger ein Auseinander-Setzen als ein Zusammen-Setzen; er bedeutet, weniger übereinander als mehr miteinander zu reden. Voraussetzung für Dialog ist zu akzeptieren, dass keiner der Dialogpartner im Besitz der objektiven Wahrheit ist: Jeder vertritt zunächst seine Interessen aus seiner Perspektive heraus. Im Dialog kommen dann Menschen verschiedener Interessengruppen (Stakeholder) zusammen, um einander zuzuhören, Verständnis als auch gemeinsame Perspektiven zu entwickeln und kooperativ nach Lösungen der Probleme zu suchen. Die aktuelle öffentliche Debatte aller Beteiligten spiegelt leider das genaue Gegenteil wider. Bleibt zu hoffen, dass die Dialogfähigkeit bald wiederhergestellt ist – denn die richtig großen Probleme kommen erst noch.

 

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