Vor etwa eineinhalb Jahren fing ich an, bei MF´O mitzuarbeiten. Damals begann der Medien-Hype zum Thema „Flüchtlinge“, der bis heute anhält. Optimistisch schrieb ich meinen ersten Artikel auf diesem Blog darüber, wie Unternehmen Fluchtursachen bekämpfen können. Deutschland schien damals ein Land zu sein, in dem Helfer und Optimisten die Kritiker und Schwarzmaler übertönten und zahlenmäßig übertrafen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erschien Deutschland so offen, tolerant und menschlich, als hätte es tatsächlich aus seiner Geschichte gelernt und mehrheitlich mit dem Rassismus abgeschlossen.

18 Monate später ist von diesem Optimismus kaum etwas übrig. Deals mit der Türkei und afrikanischen Staaten sowie Grenzschließungen auf der Balkanroute machen es Geflüchteten fast unmöglich, Deutschland zu erreichen. Unsere Rüstungspolitik und unsere Unterstützung der US-amerikanischen Außenpolitik, die in den vergangenen Jahrzehnten den gesamten Nahen Osten in ein Schlachtfeld verwandelt haben, zwingen Menschen aus dieser Region, ihre Heimat zu verlassen, während zutiefst ungerechte neokolonialistische Beziehungen zwischen Nord- und Südhalbkugel eine der Fluchtursachen in afrikanischen Ländern ist. Und doch versucht Europa, die Verantwortung für die hausgemachten Probleme wegzuschieben. Staat und Kommunen erzielen vielerorts Milliardenüberschüsse, aber uns wird täglich gesagt, dass es nicht für alle reicht, dass wir nicht noch mehr Menschen aufnehmen können. Von den meisten Medien und Politikern wird uns eingeredet, dass wir eine Flüchtlingskrise haben – dabei ist es in Wirklichkeit eine Nazikrise, eine Rassismuskrise. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat die Gewalt gegen Geflüchtete und Ehrenamtliche, die sie unterstützen, extrem zugenommen. 2016 gab es täglich zehn Angriffe auf Geflüchtete. Und doch sprechen Zeitungen, Talkshows, Politiker nur von den angeblichen Gefahren durch „den Islam“, was auch immer das sein mag, und kehren das tatsächliche Problem des Rassismus unter den Teppich. Fremdenhass, Abschottung und Nationalismus sind die Folgen.

Als „aufgeklärte“ Gesellschaft dürfen wir uns nicht der Illusion der Überlegenheit hingeben. Wir sollten uns vor Augen führen, dass es purer Zufall ist, in welche Verhältnisse wir geboren werden. Jeder Manager könnte ebenso ein Arbeiter am untersten Ende der Lieferkette in einem asiatischen Land sein. Jeder Nazi ein Flüchtling, jeder Chef ein Angestellter. Der Gedanke ist simpel, aber seine Bedeutung wird unterschätzt. Viel zu oft leben wir in dem Trugbild, dass wir uns unsere Privilegien allesamt selbst verdient hätten – dabei sind sie lediglich zufällige Glücksgaben. Sich dies bewusst zu machen, und vor unseren Handlungen und Entscheidungen für einen Moment einen imaginären Rollentausch mit dem Gegenüber vorzunehmen, kann viel verändern.

Globe ,earth in human hand

Managerfragen hat den Anspruch und das Potenzial, diesen Rollentausch zu initiieren. Dialog fördert den gegenseitigen Austausch und macht es leichter, den Blickwinkel des Anderen einzunehmen, sich in dessen Position hineinzuversetzen. Er konfrontiert den Handelnden mit seiner Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Manager spielen in diesem Zusammenhang eine besonders wichtige Rolle, weil sie sowohl eine höhere Verantwortung als auch einen höheren Einfluss als die Durchschnittsbürger haben. Das liegt einerseits an ihrer Macht innerhalb der Unternehmen, gegenüber den Angestellten und Kunden, andererseits an ihrer Vorbildwirkung in der Gesellschaft. In den vergangenen eineinhalb Jahren habe ich gelernt, Manager differenzierter zu beurteilen. Ich habe erfahren, dass es sehr wohl CEOs gibt, die sich Gedanken darüber machen, wie sie in ihrer Position etwas für das Gemeinwohl tun können, die nicht ihren Profit und ihr Ansehen über alles andere stellen. Dass es Unternehmen gibt, die Geflüchtete einstellen und ihnen einen Ausweg aus der Perspektivlosigkeit ermöglichen wollen, auch wenn es noch viel zu Wenige sind.

Mein Appell nach den vergangenen eineinhalb Jahren bei MF´O richtet sich an alle Entscheidungsträger: Stellt euch eurer Verantwortung und nutzt die euch gegebene Chance, positiven Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen! Wir brauchen mutige Manager, die über den Tellerrand ihres privilegierten Lebensstils hinausblicken und beweisen, dass soziale Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg sich nicht widersprechen müssen. Die gegen Rassismus und Ausgrenzung aufstehen, wo auch immer sie vorkommen. Die darauf achten, dass die Lieferkette der eigenen Produkte nicht nur Bio, sondern auch Fairtrade ist, sodass alle Stufen der Wertschöpfungskette profitieren. Die hinterfragen, bis zu welcher Höhe Lohndifferenzen innerhalb eines Unternehmens zu rechtfertigen sind. Die Steuern dort zahlen, wo das Unternehmen tatsächlich tätig ist. Stellt euch eurer Verantwortung für eure Angestellten, für eure Zulieferer, für die weniger privilegierten Mitglieder unserer Gesellschaft. In einer Zeit, in der Deutschland und Europa nach rechts rücken und erste Vergleiche zu den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufkommen, ist es wichtiger denn je, vom Mitläufer zum Vordenker zu werden.

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