Worte sind wichtig. In ihnen schwingen Konnotationen mit, die über ihre sichtbare Bedeutung hinausgehen. Deshalb ist es essenziell in Debatten, gesprochenen wie geschriebenen, bewusst die richtigen Worte zu wählen. Diese Debattenkultur betrifft natürlich auch unseren Gesellschaftsdialog.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Begriffe „Migranten“, Flüchtlinge“, „Asylbewerber“, und „Geflüchtete“. Zwar werden sie in im Alltag oft synonym verwendet, aber jedem dieser Begriffe hängen bestimmte Konnotationen an, die die Meinung der Empfänger beeinflussen können. So verwenden linke Bewegungen und PolitikerInnen oft bewusst das Wort „Geflüchtete“, da das „-ling“ in „Flüchtling“ eine Verkleinerungsform (Diminutiv) ist und abwertend wirken kann. Rechte Gruppierungen wiederum verweigern sich dem Begriff „Geflüchtete“ und ziehen zudem „Migrant“ dem Wort „Flüchtling“ vor, da „Migrant“ in der in der öffentlichen Meinung weniger Legitimität suggeriert.

Nach der offiziellen Definition internationaler Organisationen sind alle Flüchtlinge Migranten, aber nicht alle Migranten Flüchtlinge. Flüchtlinge sind laut UNHCR (der UN-Lobbyorganisationen für die Rechte Geflüchteter) Menschen, die „zur Flucht gezwungen [werden] und nicht gefahrlos in ihre Heimat zurückkehren [können].“ Der Begriff Migranten wird in Abgrenzung dazu dann oft für diejenigen verwendet, die angeblich freiwillig und aus sogenannten ökonomischen Gründen ihre Heimat verlassen. Asylsuchende oder Asylbewerber schließlich sind Migranten, die sich um Asyl beworben haben, denen jedoch der Flüchtlingsstatus noch nicht offiziell anerkannt wurde.

Es wird deutlich, dass die moderne Bürokratie es liebt, Menschen in Schubladen zu stecken. Doch „Flüchtling“ und „Migrant“ sind keine naturgegeben Kategorien, sondern menschengemachte. Dieser „Kategorisierungsfetischismus“ (Apostolova 2015) ist noch nicht sehr alt. Um die Herkunft dieser Begriffe und die politische Agenda hinter den Kategorien zu verstehen, lohnt es sich, einen kurzen Blick in die Geschichte zu werfen.

Vor 100 Jahren gab es die Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und Migranten noch nicht. Die erste koordinierte Anstrengung, Flüchtlinge zu organisieren (und somit die offizielle Nutzung des Begriffs)  gab es 1922, als der Völkerbund staatenlosen Russen den sogenannten Nansen-Pass ausstellte. Das Ziel war, dass sie damit in Europa ungehindert Grenzen passieren konnten, um zu ihren Familien zu finden,  oder sich in Gebieten niederlassen, in denen es mehr Arbeit gab – Flüchtlinge wurden somit zu Wirtschaftsmigranten gemacht, wie Katy Long ironisch anmerkt. Heute wiederum werden Flüchtlinge oft daran gehindert, dorthin zu gehen, wo sie wollen.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden dann europäische Flüchtlinge zusammen mit arbeitslosen Einheimischen als sogenannte „Überschussbevölkerung“ bezeichnet und problematisiert – es wurde also kein Unterschied zwischen Einheimischen und Ausländern gemacht. Damals herrschte noch die Meinung, dass dieses „Problem“ innerhalb weniger Jahre gelöst werden könnte. Da die im Nachkriegseuropa herrschende Arbeitslosigkeit als größtes Problem angesehen wurde, gab es zunächst den Plan, über die ILO (Internationale Arbeitsorganisation) eine gemeinsame Behörde aufzubauen, die die „Überschussbevölkerung“ in andere Länder umsiedeln sollte. Die USA allerdings hatten Angst, dass sie dann die Kontrolle verlieren würden und eventuell zu viele Flüchtlinge aufnehmen müssten, und betrieben erfolgreiche Lobbyarbeit gegen diesen Vorschlag.

Das Resultat war letztendlich die Erschaffung verschiedener internationaler und nationaler Behörden für verschiedene Arten von „Überschussbevölkerung“ und die Aufteilung der Menschen in die Kategorien, die wir heute noch benutzen. Sie wurden nach dem Motiv ihrer Flucht (politische Verfolgung vs. ökonomische Gründe unterteilt. Die UNHCR wurde 1951 gegründet, mit einem Mandat ausschließlich für politisch Verfolgte:

Ein Flüchtling ist eine Person, die “[…] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will […]” (Genfer Flüchtlingskonvention von 1951)

Während Staaten nach internationalem Recht Flüchtlingen Schutz gewähren müssen (obwohl sie es in Praxis oft nicht tun), müssen sie Migranten dagegen nicht aufnehmen. Zudem stimmen diese Kategorien nur bedingt mit dem wahren Leben überein. Es gibt viele Menschen, die entweder in keine oder beide Kategorien fallen, beispielsweise sogenannte „Klimaflüchtlinge“, die ihre Heimat aufgrund von Umweltkatastrophen verlassen müssen. Das Kriterium der politischen Verfolgung trifft auf sie nicht zu, aber sie emigrieren definitiv auch nicht freiwillig.

Dann wiederum gibt es Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen müssen, nicht weil sie direkt verfolgt werden, sondern weil sie keine wirtschaftliche Lebensgrundlage mehr haben. Ein Beispiel von Crawley and Skleparis beschreibt einen Friseur in Syrien, der nach der Machtübernahme der Taliban in seiner Gegend keine Kundschaft mehr hatte (Da das Rasieren nach deren Maßgaben verboten wurde) und daraufhin nach Europa floh.

Crawley and Skleparis befragten 215 Menschen, die 2015 das Mittelmeer überquerten, und fanden heraus, dass ihre Migrationsrouten oft nicht so linear verliefen, wie es uns die europäischen Medien und Politiker weismachen wollen. Etwa die Hälfte der Afghanen hatten ihre Heimat mehr als fünf Jahre verlassen, bevor sie überhaupt in Europa eintrafen, Und hatten Europa nicht als ursprüngliches Ziel geplant. Viele hatten sich zuvor in der Türkei niedergelassen und waren erst nach Europe weitergezogen, als sie auch dort vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wurden und kein Einkommen mehr hatten. Fallen sie in die Kategorie der wirtschaftlichen oder politischen Migranten?

Eine strikte Trennung zwischen Flüchtlingen und Migranten führt letztendlich dazu, dass zwar eventuell jene, die als politische Flüchtlinge gesehen werden, etwas besser geschützt werden (oder wurden), aber andererseits die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge darunter leiden und ihr Anspruch nicht anerkannt wird.  Apostolova spricht von einer Hierarchisierung und einer Einteilung in “gute” und “schlechte” Migranten, die letztendlich allen schadet.

Was heißt das nun für uns? – Sollen wir von nun an nur noch von „Migranten“ sprechen, wie Apostolova und einige linke Bewegungen vorschlagen? Oder sollten wir bewusst auch Menschen mit ökonomischen Migrationsmotiven als Flüchtlinge oder Geflüchtete bezeichnen? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, und wahrscheinlich ist so eine generelle Entscheidung gar nicht sinnvoll, denn unterschiedliche Zielgruppen erfordern unterschiedliche Strategien. Zudem ist es essenziell, nicht nur die Bezeichnungen, sondern vor allem auch den Umgang mit den dahinterstehenden Menschen zu korrigieren. Es ist jedoch wichtig, dass wir uns den Einfluss der von uns gewählten Worte auf die andere bewusst machen und reflektieren, dass wir in bewusst geschaffenen Kategorien denken, die nicht unbedingt sinnvoll sind.

Eine Reflexion unserer Wortwahl ist wie eingangs geschrieben für unsere Dialogkultur grundlegend wichtig, da Tonalität und Framing unserer Argumente einen großen Teil der Botschaft ausmachen, die wir übermitteln.

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