von Josephine Valeske
Die Wechselwirkungen zwischen Politik und Wirtschaft waren schon immer von der Frage geprägt, wie stark sich die eine Seite in die Belange der anderen einmischen sollte. Normalerweise sind die Manager großer Unternehmen mit politischen Kommentaren eher vorsichtig. Joe Kaeser, CEO von Siemens, scheint jedoch die Grenze gefunden zu haben, ab der Zurückhaltung nicht mehr akzeptabel ist. Bei einem Empfang vom Club Wirtschaftspresse in München in der vergangenen Woche bezog er als bisher einziger Chef eines deutschen Großkonzerns direkt Stellung gegenüber der AfD. Zugleich kritisierte er andere Unternehmenschefs für ihre mangelnde Rückendeckung.
Kaeser hatte im Mai per Twitter auf einen Tweet der AfD-Politikerin Alice Weidel reagiert, die in einer Bundestagsdebatte rassistische und stigmatisierende Begriffe für Geflüchtete verwendet hatte. Daraufhin waren er und seine Familie in den sozialen Netzwerken von Rechtsextremen bedroht worden. Auf der Münchener Veranstaltung erklärte Kaeser nun, es dürfe trotz dieser Einschüchterungsversuche keine Schweigespirale entstehen. Er verglich die aktuelle Situation mit den Anfängen des Nationalsozialismus, im Zuge dessen ein Onkel Kaesers im KZ Dachau ermordet worden war und stellte fest, dass auch damals zu viel geschwiegen worden sei.
Der Siemens-CEO kritisierte andere Dax-Manager für ihre mangelnde Unterstützung, da er ihnen eine gemeinsame Initiative vorgeschlagen, bisher aber keine Zusage erhalten habe. Besonders bitter erscheint der Grund für diese Zurückhaltung: Profitsorgen. Der namentlich nicht genannte Chef eines Autokonzerns hatte laut Kaeser mit Bezug auf die Wahlergebnisse der AfD gesagt, dass dann „womöglich 19 Prozent meine Autos nicht mehr kaufen“. Zwar zeigte Kaeser Verständnis für solche Äußerungen, da er selbst nicht im Konsumentengeschäft tätig und von solchen Problemen nicht betroffen sei, schien aber trotzdem enttäuscht.
Und das zu Recht. Natürlich gehört es zu einer guten Unternehmensführung dazu, vorsichtig mit seinen Aussagen zu sein, um möglichst keine Kunden zu verschrecken. Ab einem bestimmten Punkt jedoch verwandelt sich strategische Klugheit in Charakterschwäche. Abgesehen davon, dass menschlicher Anstand es von Personen des öffentlichen Lebens verlangt, gegenüber rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen Stellung zu beziehen, profitieren Unternehmen in Deutschland von einem vergleichsweise toleranten gesellschaftlichen Klima, vom internationalen Handel und beispielsweise auch von Zuwanderern auf dem Arbeitsmarkt. Daher sollte es in ihrem eigenen Interesse sein, sich einer Partei, die diese Dinge abschaffen will, entgegenzustellen.