Der Papst unterstützt Donald Trumps Präsidentschaft, Angela Merkel möchte zwölf Millionen Einwanderer nach Deutschland holen, und Palästina hat Texas als Teil von Mexico anerkannt – was für die meisten Menschen eindeutig Unsinn ist, wird von anderen ernst genommen und weiterverbreitet. Die drei Meldungen gehören allesamt zu den erfolgreichsten Fake News der vergangenen Jahre. Fake News ist inzwischen ein Buzzword, der Begriff ist weltweit in aller Munde und die Panik vor der Macht der Desinformation wächst.

Laut einer Umfrage unter mehr als 500 Führungskräften aus Politik und Wirtschaft schätzten drei Viertel der Befragten Fake News als das aktuell gefährlichste Cyberrisiko ein. Nach einer Studie des Pew Research Center halten US-Amerikaner Fake News für ein größeres Problem als Rassismus, Klimawandel oder Terrorismus. Regierungen weltweit reagieren darauf: Frankreich hat im vergangenen Jahr zwei umstrittene Gesetze erlassen, die dabei helfen sollen, in Wahlkampfzeiten gegen Gerüchte und Falschmeldungen vorzugehen. Kürzlich haben die USA begonnen, ein System aufzubauen, das in der Lage sein soll, echte Meldungen von falschen zu unterscheiden. Der US-amerikanische Nachrichtensender CNN hat sogar zu einem „war on fake news“ (Krieg gegen Falschmeldungen) aufgerufen.  Und in der Schweiz lernen Kinder jetzt in einem extra Schulfach, kritisch mit Nachrichten aus dem Netz umzugehen.

Fake News stellen eine signifikante Herausforderung dar, vor allem da sie häufig aus dem rechtsextremen Spektrum kommen, auf Minderheiten abzielen und das politische Klima aufheizen. Es ist aber Unsinn, so zu tun, als wären sie ein komplett neues Phänomen, das erst mit der Nutzung des Internets aufgekommen ist. Schon in antiken Sagen findet man Beispiele von gezielter Desinformation. Lange bevor Computer erfunden wurden und Facebook-Algorithmen Falschmeldungen weiterverbreiteten, verhalf die Dolchstoßlegende den Nationalsozialisten zum Aufstieg. 1936 wurde der Fotograf Robert Capa mit einem Foto weltberühmt, dass einen Soldaten im spanischen Bürgerkrieg im Moment seines Todes zeigte – später stellte sich heraus, dass das Bild gestellt war. Die Lüge von Massenvernichtungswaffen im Irak verschaffte den USA die Legitimationen für den Irakkrieg. Und das sind nur einige Fälle, deren Aufklärung in der Öffentlichkeit für erhebliche Empörung sorgte. In der Vergangenheit finden sich unzählige Beispiele für Propaganda und schlichte Lügengeschichten über andere Länder, über verschiedenste Minderheiten und Religionen, über Frauen, die LGBTQ-Bewegung und andere, die in „seriösen“ Zeitschriften und Magazinen sowie im Radio und Fernsehen verbreitet wurden.

Zwar haben konventionelle Massenmedien generell einen höheren Anspruch an den veröffentlichten Inhalt und überprüfen normalerweise die Informationen vor der Publikation, aber der Fall von Claas Relotius im Spiegel beispielsweise zeigt, dass das nicht immer funktioniert. Und nicht alle Zeitungen wollen überhaupt „neutral“ informieren – die BILD hat in den vergangenen Jahren eine regelrechte Kampagne gegen Geflüchtete geführt, die wohl mindestens genauso viel zu Islamophobie und Rassismus beigetragen hat wie die oft angeprangerten Fake News. Die Artikel der BILD und anderer Zeitungen fallen dabei meist nicht in die Kategorie „Fake News“, aber das macht sie durch ihre einseitigen Darstellungen nicht weniger schädlich.

Wenn man sich dessen bewusst ist, kommt die Frage auf, wo genau eigentlich die Grenze zwischen „Fake“ und „Real“ News liegt. In welche Kategorie fallen Artikel, die zwar nicht lügen, aber wichtige Informationen auslassen und somit einen falschen Eindruck generieren? Oder solche, die ihren Inhalt auf wenige Themen reduzieren und diese dadurch viel wichtiger erscheinen lassen, als sie wirklich sind? Beispiel ist wieder die BILD, die in den vergangenen Jahren bis zu 65 Prozent einer Ausgabe auf das Thema Asyl fokussierte und dabei fast ausschließlich ein negatives Bild von Asylbewerbern übermittelte. Die Grenze zwischen Fake und Real News ist viel grauer, als man das gemeinhin denkt, und es ist fraglich, ob man Fake News so einfach identifizieren und löschen kann, oder wie viel das überhaupt bringen würde.

Das Grundproblem sind nämlich nicht die Nachrichten an sich, sondern eine Gesinnung, die empfänglich für Vorurteile ist. Fake News aus dem rechten Spektrum sind weniger Ursache als mehr Symptom der gesellschaftlichen Krise, in der wir stecken. Die Grundursachen sind schwer zu identifizieren, aber die wachsende Ungleichheit und zunehmende Armut in Deutschland gehören sicherlich dazu. Statt einen „Krieg“ gegen Fake News auszurufen und zweifelhafte Gesetze gegen diese zu erlassen, sollte besser gegen diese Ursachen vorgegangen werden – zum Beispiel durch eine verbesserte Sozialpolitik. Zudem sollte mehr Geld in Bildung, kleine Vereine und Initiativen gesteckt werden. Eine Initiative, die sich im Bereich digitale Demokratie engagiert ist 1001 Wahrheit. Mit ihr möchte die Deutsche Telekom die digitale Welt verständlicher machen und Bürger mündig machen.

Das Internet, so argumentieren viele, führt dazu, dass jeder und jede Informationen verbreiten kann, ohne durch irgendeine Art von Qualitätskontrolle durchlaufen zu müssen. Andererseits bedeutet es aber auch, dass Informationen abseits des Mainstreams für alle zugänglich sind – und das ist etwas, was es früher nicht gab. Wer möchte, kann heute nämlich immer überprüfen, ob das Gelesene stimmt, und sich alternative Standpunkte aneignen. Vor allem haben marginalisierte Gruppen nun die Möglichkeit, für sich selbst zu sprechen, anstatt dass immer nur über sie gesprochen wird. Es braucht kein „Verbot“ von Fake News, sondern Projekte, die einerseits Menschen zur Medienmündigkeit erziehen, und andererseits diskriminierenden Fake und Real News etwas entgegenzusetzen.

 

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