Josephine Valeske

von Josephine Valeske

Das Bild geht um die Welt, hat sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt: Der leblose Körper des dreijährigen Jungen Alan Kurdi, der auf der Flucht aus Syrien ertrunken war und am Strand der Türkei angespült wurde. Manchmal, so scheint es, braucht es erst solche Bilder, damit die Menschen das ganze Ausmaß einer Katastrophe erkennen. Aber spätestens jetzt wachen sie auf, beginnen sich zu engagieren. Das gilt nicht nur für all die freiwilligen Helfer, die Deutschland in den letzten Monaten in ein Flüchtlinge willkommen heißendes Land verwandelt haben, sondern auch für Unternehmensmanager in den obersten Etagen.

„Wir können nicht so tun, als ginge es uns nichts an, wenn ertrunkene Kinder an die Küsten des Mittelmeeres gespült werden und verzweifelte Menschen durch Europa ziehen, auf der Suche nach einer friedlichen Zukunftsperspektive“, sagte der Chef des Essener Chemiekonzerns Evonik, Klaus Engel, vor einigen Tagen dem „Handelsblatt“.

Um klarzustellen, dass es sich bei seinen Worten nicht nur um Lippenbekenntnisses handele, stellte der Konzern Evonik eine Million Euro für Hilfsprojekte für Flüchtlinge zur Verfügung. Das Geld solle an Flüchtlingsinitiativen in den Standorten des Chemieunternehmens fließen, die nachhaltige Integrationsprojekte durchführen. Auch die Telekom engagiert sich: Deren Personalvorstand Christian Illek kündigte vor einigen Tagen an, den Gemeinden leer stehende Verwaltungs- und Technikgebäude zur Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen. Es handele sich wohl um rund 40 ungenutzte Immobilien, die sich als Notunterkunft eignen könnten. Außerdem wolle die Telekom in allen Flüchtlingsunterkünften WLAN einrichten, damit die Flüchtlinge mit ihrer Familie in anderen Ländern in Kontakt bleiben können – und Praktikumsplätze für Flüchtlinge anbieten.

Das Unternehmen, wie auch Evonik und viele andere, schaut dabei natürlich nicht nur auf das Wohl der Flüchtlinge, sondern auch auf seine eigenen Interessen. In Deutschland herrscht momentan ein Fachkräftemangel, und in den vielen Neuankömmlingen sehen Manager das Potenzial, gut ausgebildete und arbeitswillige neue Mitarbeiter zu finden. Post-Chef Frank Appel erklärte, auf dem deutschen Arbeitsmarkt gebe es etwa eine halbe Million offener Stellen. „Wenn Flüchtlinge rasch Arbeitsbewilligungen erhalten“, könnte das deutschen Unternehmen zugutekommen.

Die Arbeitsbewilligungen stellen momentan aus Sicht beider Seiten – Flüchtlinge und Unternehmen – ein großes Problem dar und sind auch der Grund, warum Unternehmen momentan höchstens Praktikumsstellen anbieten und keine festen Arbeitsverträge. In den ersten drei Monaten nach ihrer Ankunft dürfen Asylbewerber weder eine Arbeit annehmen noch eine Ausbildung beginnen. Danach ist das theoretisch möglich – allerdings gibt es noch die sogenannte Nachrangigkeitsprüfung, die von der Ausländerbehörde teilweise in Zusammenarbeit mit der „Zentralen Auslands- und Fachvermittlung“ der Agentur für Arbeit durchgeführt wird. Dabei ermittelt die Behörde, ob die dem Flüchtling angebotene Arbeit nicht auch von einem deutschen oder EU-Bürger ausgeführt werden könnte. Da das praktisch auf beinahe jede Stelle zutrifft, führt es oft zu einer negativen Entscheidung, und zu Enttäuschung auf beiden Seiten. In den ersten 15 Monaten ihres Aufenthaltes in Deutschland ist die Nachrangigkeitsprüfung verpflichtend – unsinnig, findet beispielsweise der NRW-Landesgeschäftsführer Herbert Schulte vom Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW). Er rät dazu, „die Vorrangprüfung und etwaige Wartefristen für Asylbewerber, die einen Job suchen, zu streichen. Zudem wäre es sinnvoll, den Zeitarbeitsmarkt zu öffnen. Hier könnten sich ganz erhebliche Beschäftigungspotenziale ergeben.“

Andererseits ist die Nachrangigkeitsprüfung auch nicht ohne Hintergedanken eingeführt worden. Sie dient einerseits dazu, Wirtschaftsflüchtlinge abzuschrecken, andererseits soll sie auch Unternehmen davon abhalten, die Lage der Flüchtlinge auf Kosten deutscher Arbeitnehmer auszunutzen, da erstere oft bereit sind, für weniger Bezahlung und unter schlechteren Bedingungen zu arbeiten. Es stellt sich also aus Sicht der Arbeitnehmer die Frage, inwiefern es sinnvoll wäre, diese abzuschaffen – ob die Prüfung aus moralischer Sicht überhaupt gerechtfertigt ist, ist ein ganz anderes Thema.

Die Manager der oberen Etagen zumindest scheinen mit Blick auf ihre Unternehmen die Integration in den Arbeitsmarkt so schnell wie möglich vorantreiben zu wollen. Daimler-Chef Dieter Zetsche äußerte sich vor kurzem zuversichtlich in der Bild am Sonntag: „Ich könnte mir vorstellen, dass wir in den Aufnahmezentren die Flüchtlinge über Möglichkeiten und Voraussetzungen informieren, in Deutschland oder bei Daimler Arbeit zu finden. Die meisten Flüchtlinge sind jung, gut ausgebildet und hoch motiviert. Genau solche Leute suchen wir doch.“
Erklärend fügte er hinzu: „Sie können uns – ähnlich wie vor Jahrzehnten die Gastarbeiter – helfen, unseren Wohlstand zu erhalten beziehungsweise zu vermehren. Deutschland kann doch die freien Arbeitsplätze gar nicht mehr allein mit Deutschen besetzen.“

Das klingt erst einmal sinnvoll und gerechtfertigt, aber nach einigem Überlegen stört etwas an dieser Aussage. Werden Flüchtlinge nicht instrumentalisiert, wenn man sie nur nach ihrem Nutzen für den deutschen Arbeitsmarkt bewertet? Wären wir etwa weniger dazu verpflichtet, ihnen Asyl zu gewähren und sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wenn sie nicht jung, gut ausgebildet und motiviert wären und hier kein Fachkräftemangel herrschen würde? Und: Es denkt kaum jemand über das Problem nach, welche Folgen es für die Herkunftsländer der Flüchtlinge hat, wenn die ausgebildeten Arbeitnehmer in einem anderen Land Asyl finden. Diese klugen Köpfe sind nämlich genau die Menschen, die das Land später beim Wiederaufbau, bei der Neuorganisierung der Politik, beim Friedensprozess benötigen würde. Was momentan zwischen Afrika beziehungsweise dem Nahen Osten und Europa stattfindet, ist ein Brain Drain gewaltigen Ausmaßes, dessen Konsequenzen für die Herkunftsländer noch nicht abzusehen sind. Andererseits – dem Beispiel vieler anderer europäischen Länder zu folgen und die Flüchtlinge so wenig wie irgend möglich zu integrieren, nur damit sie möglichst schnell wieder nach Hause zurückkehren, kann keine Alternative für Deutschland sein.

Es wird klar: So unproblematisch, wie die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt von Managern gern dargestellt wird, ist sie nicht. Die rechtlichen und moralischen Probleme bedürfen längeren Nachdenkens und Diskussionen mit allen Beteiligten. Auf dieser Plattform wird sowohl Bürgern als auch Managern ermöglicht, genau solche Diskussionen zu führen.

 

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