Sehr geehrte Frau Jakob,
Ihre Studie „Führung und Gesundheit“ ist eine ungewöhnlich aufwendige Untersuchung, die auch in der chemischen Industrie etwas Besonderes darstellt. Warum wurde sie gemacht?
Das Thema Mitarbeiter-Gesundheit und somit der Erhalt der Leistungsfähigkeit der Belegschaft ist bei Boehringer Ingelheim vor dem Hintergrund des demografischen Wandels von strategischer Bedeutung. Das zeigt sich auch darin, dass wir im September vorigen Jahres unser Betriebliches Gesundheitsmanagement unter dem Motto „gesundes Unternehmen“ neu ausgerichtet haben und eine Gesundheitsmanagerin eingestellt haben. Führungskräfte und ihr Verhalten gegenüber Beschäftigten haben einen enormen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diesen Zusammenhang haben bereits viele Studien belegt. Wir wollten mit dieser groß angelegten Befragung dem Thema Nachdruck verleihen. Der große Vorteil dieser Studie ist, dass wir jetzt wirklich auf unternehmensbezogene Fakten zurückgreifen können.
Oft haben Studienergebnisse keine praktischen Konsequenzen. Sie gehen einen anderen Weg …
Ja, wir wollen aus den Ergebnissen lernen, sonst ließe sich der große Aufwand nicht rechtfertigen. Und wir haben die Studie ja angestoßen, weil wir erkannt haben, wie wichtig dieses Thema für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist. Dafür spricht auch die hohe Rücklaufquote von 41 Prozent. Deshalb werden wir das Handlungsfeld „Gesund Führen“ in diesem Jahr in den Mittelpunkt unseres Betrieblichen Gesundheitsmanagements rücken.
Was schließen Sie aus den Ergebnissen? Wie kann der Führungsalltag verändert werden?
Die Studie hilft uns, die Frage zu beantworten, wie wir bessere betriebliche Voraussetzungen für gute Führungsarbeit bei Boehringer Ingelheim schaffen können. So müssen wir unseren Führungskräften die Instrumente zur Verfügung stellen, damit sie die Anforderungen an moderne Führungsarbeit auch erfüllen können. Die Studie zeigt uns auch, dass die Anforderungen an Führungsarbeit und – stile in der Produktion andere sind als im Labor- oder Verwaltungsbereich. Entsprechend werden wir Führungs- und Einarbeitungsprogramme entweder neu auflegen oder bereits vorhandene anpassen.
Warum ist dieses Thema heute so wichtig?
Das hängt mit dem demografischen Wandel und dem gestiegenen Rentenalter zusammen. Das bedeutet für viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass sie wesentlich länger arbeiten müssen. In den vergangenen Jahren haben unsere Beschäftigten im Durchschnitt unser Unternehmen vor Vollendung des 60. Lebensjahres verlassen. Dazu haben auch betriebliche Altersteilzeitprogramme beigetragen. Wenn wir aber länger arbeiten, gewinnt das Thema Gesundheit weiter an Bedeutung. Das Unternehmen will ja auch mit älteren Belegschaften wettbewerbsfähig bleiben. Und da Führung und Führungsverhalten wiederum sehr wichtig für die Gesundheit der Beschäftigten sind, rückt dieses Thema in den Mittelpunkt. Es ist ein wichtiger Ansatzpunkt, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhalten.
Reicht es nicht aus, wenn eine Führungskraft vor allem gute fachliche Fähigkeiten mitbringt? Das ist doch entscheidend. Oder?
Das sehe ich anders. Führungskompetenz und fachliche Fähigkeiten sind entscheidend. Wir haben im Rahmen unseres Talentmanagements ein jährliches Beurteilungsverfahren für Führungskräfte etabliert. Und hier unterscheiden wir sehr wohl zwischen den Leadership Principles und den Results, also den fachlichen Ergebnissen. Unser Ziel ist, dass alle Führungskräfte entsprechend unserer Führungsgrundsätze handeln – ist dies nicht der Fall, greifen entsprechende Unterstützungsangebote. Die Auswahl der Führungskräfte ist schon entscheidend. Darauf legen wir großen Wert.
Wie eng ist der Zusammenhang? Kann man sagen: Gute Führung senkt Krankenstand und Fehlzeiten um X Prozent?
Man kann das nicht so exakt beziffern. Umgekehrt ist der Zusammenhang zwischen schlechter Führung und Krankheit oft viel aussagekräftiger. Wenn Führungskräfte nicht im Sinne unserer Prinzipien arbeiten und anleiten, wenn sich Mitarbeiter beispielsweise ungerecht behandelt fühlen, dann stellen wir fest, das wirkt sich direkt negativ auf die Gesundheit aus.
Gibt es ein Studien-Ergebnis, das Sie überrascht?
Ich sehe in den Ergebnissen ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft. Denn es gibt keine signifikanten Unterschiede zwischen den Befunden für unser Unternehmen und den Ergebnissen, die die Universität Mannheim in vielen früheren Studienergebnissen vorgelegt hat.
Sehr geehrte Frau Jakob, wir danken Ihnen für dieses Interview!