Verfasser/in der Frage

25.06.2013 12:22:02

Sehr geehrter Herr Thielen,

prima, dass Sie sich hier dem Dialog auf „offener Bühne“ stellen. –

Die jüngsten Enthüllungen zu vormals streng geheimen Überwachungssystemen der USA lassen die Öffentlichkeit aufschrecken. Flächendeckende Video-, Email- und Social-Media-Überwachung erscheinen wie die „dunkle Seite“ unserer hochvernetzten Welt. Aber stehen wir nicht sogar erst am Anfang einer Entwicklung, die mit der nächsten Evolutionsstufe des Internet noch radikalere Szenarien eröffnet? Das „Internet der Dinge“ ist ein verheissungsvolles Innovationsfeld – auf Konsumenten warten Komfortzuwachs und neue Erlebnisqualitäten, dank steigender Umgebungsintelligenz, neuer Schnittstellen und ausgeklügelter „Smart Things“. Zugleich bedeutet Internet der Dinge eine Vervielfachung von Sensoren, von permanent gesendeten persönlichen Metadaten, von auswertbaren Datenströmen. So wird bereits an Mini-Drohnen in der Größe von Insekten geforscht, diese können dann auch unbemerkt in Innenräumen spionieren. Natürlich wird es da manchem Bürger mulmig bei der Vorstellung, dass staatliche Sicherheitsorgane die Überwachungstechnologie ausreizen könnten nach der Devise „Alles was technisch möglich ist, wird auch gemacht.“. –

Rollt also mit der Innovationswelle um das Internet der Dinge vielleicht ein Akzeptanzproblem auf uns zu? Angesichts der prognostizierten Umsätze („14 trillion business“) und neu geschaffenen Arbeitsplätze in diesem Boom-Bereich wäre das ein Disaster. Es stellen sich Fragen wie diese: Können Sicherheitssysteme entwickelt werden, die zugleich auch Privatsphärenschutz „eingebaut“ haben – Stichwort „Privacy by Design“? Sollten brisante Technologien vielleicht grundsätzlich stärker partizipativ, d.h. zusammen mit Nutzern/Bürgern entwickelt werden – Stichwort „Open Innovation“? –

Welche Lösungsansätze sehen Sie? –

Blogpost zum Thema: http://bit.ly/mfo-bigdata –

Mit freundlichen Grüßen,
Willi Schroll

01.07.2013 15:53:55

Sehr geehrter Herr Schroll,

Ihre Frage ist sehr komplex, da sie unseren grundlegenden Umgang mit neuen Technologien berührt. Denn neben den vielen Vorteilen, die diese hervorbringen, müssen wir uns auch die „Nebenwirkungen“ vergegenwärtigen, mit denen wir zu rechnen haben. In der Vergangenheit – und sicher auch in der Zukunft – war es für die Akzeptanz einer neuen Technologie entscheidend, ob die Vorteile überwiegen und ob wir die Risiken kalkulieren und steuern können. Gelingt dass nicht glaubwürdig, sowohl aus technischer als auch aus gesellschaftlicher Sicht, wird diese Technologie keine Akzeptanz finden und sich auch nicht bruchlos in die Umwelt der Gesellschaft integrieren. Dafür gibt es in der Technikgeschichte genug Beispiele.

Das wird beim „Internet der Dinge“ – um eines Ihrer Beispiele herauszugreifen – nicht anders sein. Bei der Kalkulation und Steuerung der Risiken stehen alle in der Verantwortung, die mit dieser Technologie umgehen: Die Wirtschaft ebenso wie die Verbraucher und auch der Staat. Es sind also nicht nur die Hersteller der RFID-Chips oder die Firmen, die diese einsetzen, verantwortlich, sondern beispielsweise auch die Verbraucher und der Staat mit seinen Schutzaufgaben (u.a. Verbraucherschutz, Datenschutz, Persönlichkeitsschutz). Von allen gilt es zuerst Eigenverantwortung aufzubringen. So wird es für die Wirtschaft – und hier stimme ich Ihnen völlig zu – entscheidend sein, ob sie mit dem Design ihrer Produkte und Anwendungen aber auch mit ihrer Kommunikation Transparenz und Kundenvertrauen erzeugen oder eher die Akzeptanz schwächen. Hier gilt übrigens einem Opt-In klar der Vorzug. Der Nutzer oder Verbraucher muss sich aber ebenso darüber im Klaren sein, welche Pflichten und Rechte bei ihm liegen und wie er damit umgeht, wenn er zugleich die Vorteile dieser Technologien wahrnehmen will. Zugegeben, das ist nicht immer einfach, aber notwendig. Die Verantwortung allein an Wirtschaft und Staat abzuschieben, wird dabei nicht förderlich sein. Die Herausforderung für den Staat ist nicht weniger gering. Muss er doch die Potenz neuer Technologien mit den bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen abgleichen und gegebenenfalls anpassen. Eine Engführung auf bestimmte Produkte oder Anwendungen greift dabei zu kurz. Zudem sind inzwischen die meisten der Themen, die Sie ansprechen, nicht mehr national zu lösen, sondern nur noch international zu verhandeln. Denn die beste nationale Rechtssetzung nützt wenig, wenn sie international nicht durchsetzbar ist. Hier bedarf es ohne Zweifel eines großen politischen Engagements auf internationaler Ebene. Eine europäische Datenschutzverordnung wäre in diesem Bereich ein wichtiger Schritt.

Wenn Sie nun nach Lösungsansätzen fragen, die ich sehe, dann ist aus meiner Sicht Aufklärung ein wichtiges Stichwort. Betrachtet man die sprichwörtliche „german angst“, die für Deutschland gerne als Argument einer hohen Technologieskepsis in Anschlag gebracht wird, eher als ein besonderes Sicherheitsbedürfnis, dann kann dem zuerst – auch aus dem Blickwinkel einer politischen Stiftung, für die ich in meiner Funktion stehe – durch Aufklärung entgegengetreten werden. Diese Aufklärung betrifft in meiner Verantwortung neben der technischen besonders die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge. Hier versucht die Konrad-Adenauer-Stiftung einen Raum zu schaffen, in dem sich Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe begegnen und Sachkenntnis wie auch Interessen austauschen – im Kreis der Experten wie auch für eine Öffentlichkeit. Denn in der Tat bedarf es eines innovationsfreundlichen Klimas in der Gesellschaft, um mit den von Ihnen beschriebenen Herausforderungen umzugehen. Dazu gehört auch eine reflektierte Risikobereitschaft. Die sieht zuerst die Chancen, ist sich aber der Risiken bewusst. In unseren Veranstaltungen und mit unseren Publikationen engagiert sich die Stiftung für dieses Klima: Ob im Bereich der Sicherheit (http://www.kas.de/wf/de/33.31170/), dem Zugang zu wissenschaftlichen Daten durch open access (http://www.kas.de/wf/de/33.34199/), dem Innovationsstandort als Wissensgesellschaft (http://www.kas.de/wf/de/33.32647/ und http://www.kas.de/wf/de/33.32622/), der Situation für Start-ups (http://www.kas.de/wf/de/33.32183/ und http://www.kas.de/wf/de/33.29348/) oder mit Erläuterungen zu häufig gestellten Fragen über Internet und digitale Gesellschaft mit leichtverständlichen Texten für jedermann (http://www.kas.de/wf/de/33.33573/), um nur einige Beispiele anzuführen.

Sie sehen, Lösungsansätze sind im praktischen Sinn Bestandteil unserer täglichen Arbeit. Darin verstehen wir unseren Beitrag für ein gesellschaftliches Klima, das innovationsfreudig, chancenhungrig und risikobewusst zugleich ist.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Thielen
Generalsekretär der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

05.07.2013 15:14:08

Sehr geehrter Herr Thielen,

vielen Dank für Ihre sehr ausführliche Antwort und für die weiterführenden Links zu Ihren Lösungsansätzen. Sie schreiben u.a., dass die europäische Datenschutzverordnung in diesem Bereich ein wichtiger Schritt wäre. Vor dem Hintergrund der aktuellen Enthüllungen zu invasiven Überwachungsprogrammen ist diese von eindrücklicher Aktualität. Es ist zu hoffen, dass diese Verordnung zudem einigermaßen den technischen Fortschritt antizipiert. Die mit dem Internet der Dinge stark ansteigende Sensorendichte Umgebungsintelligenz wird uns bald vor neue gesellschaftliche und politische Herausforderungen stellen. Mit Body-Gadgets und anderen neuen Schnittstellen werden der Gesundheits- und Seelenzustand in Echtzeit erfassbar – diese Daten sind dann weitaus brisanter als unser aktueller Aufenthaltsort, den das Smartphone preisgibt. Die Debatte scheint erst zu beginnen, Akteure aus Wirtschaft, Staat und Bürgergesellschaft werden sich hier weiterhin um Konsenspunkte bemühen müssen, um der Chancen willen und ohne Verdrängung der Risiken. Mit freundlichen Grüßen, Willi Schroll

Adressat/in der Frage

Michael Thielen

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Generalsekretär

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