von Walter Zornek
Wenn man dieser Tage die Worte Post, Gewinn googelt, dann fallen unter den ersten Suchergebnissen folgende zwei besonders auf: „Deutsche Post: Umsatz steigt, Gewinn steigt, Dividende steigt“ und „Deutsche Post: Aktie stürzt nach Gewinnwarnung“. Die beiden Meldungen liegen nur drei Monate auseinander. Soweit, so wenig gut, bei börsennotierten Gesellschaften zählt schließlich die Quartalssicht. Ursache für den Aktien-Crash sollen Produktivitätsprobleme vor allem durch ungünstige Kostenskalierung im Paket- und Briefgeschäft sein.
Es ließe sich nun analysieren, wie vermeintlicher Erfolg und Misserfolg in einer fundierten Einschätzung so nah beieinander liegen können und ob die kurzfristige Planung vielleicht eher an Managementvorgaben als an der Markt- und Unternehmensrealität orientiert ist. Es ließe sich auch darüber nachdenken, ob der letzte Börsenerfolg der Deutschen Post, eine Verdopplung des Börsenkurses binnen zwei Jahren, vielleicht auf zu hohen Erwartungen für die Zukunft basierte und zu wenig die operative Exzellenz des Unternehmens im Blick hatte. Die Konsequenzen scheinen gezogen – ein hochrangiger Manager musste gehen und Postchef Appel kündigt harte Sparprogramme an.
Besonders augenfällig ist ein in diesen Tagen in der internen Post-Hauszeitschrift veröffentlichtes Interview mit Appel. Demnach sieht er mangelnden Teamgeist, ungenügende Veränderungsbereitschaft, Verzettelung und eine zu komplizierte Organisation als Hauptursachen für die schwierige Situation im Kerngeschäft der Deutschen Post und damit auch für die korrigierte Gewinnprognose. Nun sind die genannten Punkte keine, die plötzlich über ein Geschäftsquartal vom Himmel fallen, sie sind vielmehr mittel- und langfristiger und damit auch kultureller Art. Appel ist immerhin seit 2002 bei der Post Mitglied des Vorstandes und seit 2008 Vorstandsvorsitzender, er prägt damit maßgeblich die Kultur des Unternehmens.
Appel verwendet einen simplen Kniff, den einige Führungskräfte immer wieder anwenden und der Rückschlüsse auf Selbstbild und Mindset ermöglicht. Es gilt das Motto: „Wenn es gut läuft, war ich es. Wenn es schlecht läuft, waren es im Zweifelsfall die anderen, oder WIR.“ Von der Verdreifachung des Aktienkurses in den letzten sechs Jahren profitierte am meisten der Chef über entsprechende Boni-Regelungen. Wenn es schlecht läuft, dann heißt es jedoch: WIR haben etwas falsch gemacht, WIR müssen uns verbessern, WIR müssen dafür zurückstecken – damit sind in der Regel zunächst einmal die anderen gemeint. Es hört sich sicherlich nicht nur von Außen so an, als ob hier genuine, originäre Verantwortung nicht wahrgenommen werden möchte.
Wer ist denn für Themen wie Teamgeist, Veränderungsbereitschaft sowie für organisationale Effizienz und Effektivität letztlich verantwortlich, wenn nicht der Chef?! Wer ist für Ziele, Soll und Ist sowie deren Planung und Umsetzung letztlich verantwortlich, wenn nicht der Chef? Einer der bestverdienenden DAX-Chefs, der zudem 232 mal mehr verdient als ein Durchschnittsbeschäftigter der Deutschen Post und damit das deutsche Ranking über den Abstand zwischen Manager- und Angestelltenvergütung anführt. „Mein Gehalt wird vom Markt bestimmt“, hat Appel, darauf angesprochen, in einem Interview gesagt. Auch hier wird offensichtlich etwas externalisiert.
Einiges deutet darauf hin, dass Appel die Bodenhaftung verloren habe könnte, dass er wichtige Fähigkeiten wie Selbstreflexion und Selbstkritik nicht mehr ausreichend beherrscht und sich damit in seiner eigenen Welt verliert. Das alles hat sehr viel mit Verantwortungs- und Führungsverständnis, mit Haltung, Sensibilität und Auftreten zu tun. Die Verantwortung erstreckt sich dabei nicht nur über die Mitarbeiter und Aktionäre sondern auch und gerade über die Gesellschaft, in der wir leben. Appel liefert mit seinem Verhalten den Zündstoff, der mehr und mehr unseren sozialen Zusammenhalt bedroht. Der immer wieder in die Schlagzeilen geratende, zweifelhafte Umgang mit Mitarbeitenden der Post, die strikte Ausrichtung am Börsenwert und die inszenierte Selbstherrlichkeit – all das bestärkt das ungute Gefühl bei vielen Menschen, dass es hier an Fairness fehlt und in unserer Gesellschaft etwas schiefläuft.
Der Chef des zweitgrößten Unternehmens in Deutschland trägt eben nicht nur die Verantwortung für den Börsenerfolg und –mißerfolg. Er trägt vor allem auch gesellschaftliche Verantwortung.