von Walter Zornek

Würden Sie lieber für ein Unternehmen arbeiten, das mit seinen Produkten Gewinn machen möchte, oder für eines, das mit seinem Wirken die Welt verbessern will? Viele haben sich diese Frage vielleicht noch nicht gestellt oder möchten sie auch nicht stellen. In den letzten Jahren jedoch ist diese Frage stark in den Vordergrund gerückt – so stark, dass deutsche Konzernvorstände darüber auf Hauptversammlungen reden. Dahinter steckt wie so häufig ein Trend aus den USA, wo sogenannten Purpose-Driven Companies aus dem Tech-Bereich besonders erfolgreich sind. Dazu zählten in ihren Anfangsjahren vor allem Google, Facebook und Apple, aber auch die in jüngerer Vergangenheit schnell erfolgreich gewordenen Start-ups wie Uber, AirBnB und Tesla.

All diese Unternehmen nehmen für sich in Anspruch, die Welt verbessern zu wollen. Warum das deutsche Konzerne betrifft? Weil sie in direkter Konkurrenz um Top-Talente vor allem im IT-Umfeld stehen. Diese meist jungen und hochqualifizierten Wissensarbeiter lassen sich kaum mit Geld oder Status motivieren. Denn sie wollen vor allem etwas Sinnvolles tun – eben die Welt verbessern. Da spielen die in deutschen Konzernen immer noch üblichen Titel, hierarchischen Abstufungen oder Dienstwagen als Statussymbole nur noch eine untergeordnete Rolle. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter, die Sinn in ihrer Tätigkeit sehen, motivierter, engagierter, loyaler und verantwortungsvoller sind und sich stärker mit ihrer Organisation identifizieren.

Sinn muss also her – leider ist das nicht so einfach. Sinn kann nicht gemacht, sondern muss vielmehr von jedem Einzelnen gefunden werden. Das passiert dann, wenn Sinn als zusammenhängende, bedeutsame Wahrnehmung erlebt wird, also beispielsweise die eigene Tätigkeit als Teil eines großen Ganzen mit gemeinsam verfolgten Zielen empfunden wird. Die oben genannten Tech-Unternehmen haben diese Wahrnehmung vor allem durch eine gezielte Entwicklung ihrer Unternehmenskultur ermöglicht, die auf Außenstehende fast schon sektenhaft-religiös wirken kann. Zunehmend wird im öffentlichen Diskurs bezweifelt, dass Google, Facebook und Co. wirklich daran interessiert sind, die Welt zu verbessern– da gibt es doch Investoren, und die haben bekanntlich nur ein Ziel: die möglichst hohe Verzinsung des eingesetzten Kapitals.

Geht es vielleicht darum? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Mit Sinn ließe sich dann leichter Gewinn machen, weil Mitarbeiter schneller, länger, motivierter, mit Spaß und im Zweifelsfall für weniger Geld arbeiten. Deutsche Konzerne wollen mehr Sinn und meinen damit möglicherweise einen Kulturwandel. Einen Kulturwandel, der über das Ablegen von Krawatten, das Tragen von Sneakern und die Einrichtung von Lounge-Büros hinausgeht. Eine sinnvermittelnde Kultur basiert auf Werten, die meist für etwas Gutes, Erstrebenswertes und Bereicherndes stehen. Vor allem geht es um ein gelingendes Zusammenspiel von gewünschten mit gelebten und sichtbaren Werten. Wenn die hohe emotionale Bindung von Mitarbeitern an das Unternehmen ein Maßstab für sinnvermittelnde Unternehmenskultur wäre, wären Studien zufolge nur 15 % der Mitarbeiter in Deutschland nach eigener Wahrnehmung sinnvoll beschäftigt (Gallup Engagement-Index 2018).

Dabei gibt es durchaus Beispiele für Organisationen, in denen dieser Wert bei nahezu 100 % liegt. Und dies nicht bei Tech-Unternehmen im Silikon Valley, sondern in Deutschland. Bei Vereinen, Stiftungen, Wohlfahrtsorganisationen und anderen Non-Profit-Organisationen engagieren sich fast die Hälfte der Deutschen ehrenamtlich. Was ist hier anders? Zunächst geht es hier eindeutig um das Verbessern der Welt – um Gemeinwohlorientierung. Und die Motivation vieler Menschen, dabei mitzuwirken, speist sich aus den gemeinwohlorientierten Visionen, Zielen und Strukturen. Das Engagement beruht dann vor allem auf dem Einklang von selbstbestimmtem Handeln mit eigenen und geteilten Wertvorstellungen.

Diese Organisationen könnten interessante Impulse für Sinnvermittlung in Unternehmen liefern. Das beginnt bei kulturell und organisatorisch verwurzelten Praktiken wie Teilhabe, gemeinsamer Aufgabengestaltung, Entscheidungsautonomie über Informationsfluss, Transparenz, Unterstützung und Anerkennung und endet beim intensiven Dialog mit der Zivilgesellschaft. Auch die brisante Frage, wie For-Profit-Unternehmen ihren Gewinn erzielen und verwenden sollen, könnte auf Basis solcher Praktiken geklärt werden, was die Nachhaltigkeit der Motivation und Sinnhaftigkeit gegenüber einem eher scheinheilig wirkenden Silicon-Valley-Modell deutlich erhöhen würde. Vorstände könnten von ihren Mitarbeitern gewählt werden und fragen: „Würdet ihr, wenn ihr bereits ein gutes Auskommen hättet, trotzdem bei uns arbeiten?“.

Utopisch? Sinnstiftende Konzerne, die Gewinn und Gemeinwohlorientierung miteinander versöhnen? Der große Managementvordenker Peter F. Drucker jedenfalls sah bereits in den 1980er-Jahren Organisationen mit Gemeinwohlorientierung als Blaupause moderner Unternehmensformen, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sind. Einer seiner Leitsätze war: „Treat Your Employees like Volunteers.“

 

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