Es gibt da dieses Sprichwort: „Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.“ So ungefähr war es der Fall bei Talat Deger, dem Chef des Berliner Unternehmens Mutanox, das Zäune und Gitter herstellt. Normalerweise liefert es an Gefängnisse und Flughäfen, doch vor einigen Wochen kam eine Anfrage aus Ungarn. Es lockte ein 500.000 Euro schwerer Auftrag, gebraucht wurde sogenannter NATO-Draht zur Grenzsicherung– ein besonders gefährlicher Stacheldraht, der mit rasiermesserscharfen Klingen gesäumt ist. Talat Deger war klar, dass dieser Zaun, würde er die ungarische Grenze zu Serbien säumen, das Potenzial hätte, Flüchtlinge zu töten – und er verweigerte den Auftrag. „Nato-Draht ist dafür da, kriminellen Taten vorzubeugen. Aber ich kann doch nicht einen Flüchtling, der nichts weiter hat als das, was er trägt, mit einem Kind auf dem Arm durch einen Nato-Draht laufen lassen“, erklärte Deger sein Handeln. In den Medien wird er inzwischen zum Helden stilisiert – was nur aufzeigt, wie außergewöhnlich eine solche Entscheidung für Menschlichkeit und gegen Profit in der Unternehmenskultur ist. Und seine Entscheidung beweist, dass Unternehmen durchaus einen Handlungsspielraum haben, in der Politik mitwirken können.
Wie weit reicht die Verantwortung von Unternehmen in der Flüchtlingskrise? Ist es in Ordnung, wenn das, was Talat Deger getan hat, eine Ausnahme bleibt, oder sollte es nicht zur Selbstverständlichkeit werden? Deutsche Unternehmen bieten den Flüchtlingen Unterstützung. Aber inwieweit nehmen deutsche Unternehmen auch Verantwortung in den Ursachen der Flüchtlingskrise wahr?
Im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise werden deutsche Unternehmen immer wieder für Waffenexporte kritisiert, die sie in Krisengebiete tätigen. Als im syrischen Bürgerkrieg im August 2014 Zivilisten mit Giftgas angegriffen und umgebracht wurden, stellte sich heraus, dass auch deutsche Firmen am Aufbau des Chemiewaffenarsenals der Familie Assad in den 80er und 90er Jahren beteiligt gewesen waren. Menschen, die aus Syrien nach Deutschland flüchten, flüchten nicht zuletzt auch vor den Waffen, die deutsche Unternehmen dorthin verkauft haben.
Sicherlich möchte jede Firma ihre Produkte verkaufen, und, wie die deutschen Rüstungsunternehmen immer wieder betonen, hängen hierzulande viele Arbeitsplätze an der Rüstungsindustrie. Allerdings: „Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen“, das ist einer für den Rüstungsexport maßgeblichen politischen Grundsätze, aufgestellt von Rot-Grün im Jahre 2000, gültig bis heute.
Aufgrund der weitreichenden Folgen, die der Waffenexport in bestimmte Länder haben kann, ist nicht die Wirtschaft, sondern die Politik mit der Aufgabe betraut, zu entscheiden, was wohin geliefert werden darf. Wie der Rüstungsexportbericht 2014 zeigt, werden allerdings von rund 12.000 Anträgen auf Waffenexport lediglich 100 ablehnte. 77 Prozent der Lieferungen gehen in sogenannte Drittländer, einige davon mir fragwürdiger Position zur Einhaltung der Menschenrechte wie beispielsweise Saudi-Arabien, Algerien oder Ägypten.
„Wer unglaublich viele Waffen exportiert, muss sich nicht wundern, wenn es unglaublich viele Flüchtlinge gibt“, polarisiert die Street-Art Künstlerin Barbara. Fakt ist allerdings, und das wird oft genug von den Rüstungsunternehmen und der Waffenlobby als Argument herangezogen: Wenn Deutschland es nicht tut, tun es andere Länder. Das Giftgas wäre wohl so oder so nach Syrien gelangt, die Flüchtlinge kämen nach Europa, selbst wenn Deutschland keine Waffen liefern würde. Nachfrage erzeugt Angebot. Es wird schwer sein, von Managern der Rüstungsindustrie zu erwartet, dass sie ihre Produkte nicht verkaufen, wenn sich ihnen die Chance bietet, es zu tun – wer in der Branche arbeitet, nimmt in Kauf, das durch seine Produkte Menschen getötet werden. Aber andererseits: Wenn mehr Manager der deutschen Verteidigungsbranche positive Beispiele setzten und selektiver Ihre Handelspartner auswählten, so wie der eingangs beschriebene Talat Deger, würde sich der Druck auf andere Unternehmen und Länder erhöhen.
Krieg ist eine Fluchtursache, der Unternehmen, die aus anderen als der Rüstungsindustrie kommen, kaum entgegenwirken können. Doch es gibt weitere zentrale Gründe, warum Menschen ihrer Heimat entfliehen. Einer davon ist Armut. Und gegen die können deutsche Unternehmen, die ihre Produktion ins Ausland verlagert haben oder Rohstoffe aus anderen Ländern importieren, sehr wohl etwas tun – indem sie beispielweise faire Löhne zahlen, ein Kranken- und Rentenversicherungssystem schaffen oder Umweltstandards einhalten – denn auch der Klimawandel ist eine weitere Fluchtursache. Vor wenigen Jahren sorgte hier das „Fairphone“ für Furore auf den Markt, ein Smartphone, das unter fairen Arbeitsbedingungen und mit „konfliktfreien“ Rohstoffen hergestellt wurde. Die seltenen Metalle und Mineralien, die in jedem Smartphones stecken, werden oft in Krisengebieten wie dem Kongo gewonnen. Die Gewinne landen in den Taschen von „warlords“, die damit ihre Konflikte finanzieren – und so wiederum Tausende von Menschen in die Flucht treiben. Das Fairphone ist, aus dieser Richtung gesehen, ein ganz konkreter Schritt zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Bas van Abel, der Vater des Fairphones, erklärt sein Konzept: „Wie kann man Dinge besser machen? Sollte man nicht die Systeme verändern? Wie kann man das umsetzen? Unser Ansatz: indem man selber Teil davon wird.“ Er selbst habe die „Idee oder Vision […], dass Wirtschaft in Zukunft mehr auf Werten basieren solle.“
Beispiele wie das des NATO-Drahts oder des Fairphones zeigen: Es ist möglich. Und es ist wichtig, dass Unternehmen über politische Regulierungen und Corporate Social Responsibility-Maßnahmen hinaus nach Möglichkeiten suchen, ihren Einfluss zu nutzen und Verantwortung für globale Herausforderung wahrzunehmen. Die Flüchtlingskrise zeigt in erschreckender Weise, wie untrennbar die Katastrophen der Welt in Wechselwirkung mit unserer gesellschaftlichen Entwicklung stehen. Mut und Haltung sind gefragt.
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