Verfasser/in der Frage

18.04.2013 12:27:44

Sehr geehrter Herr Schulte-Bockum, ich bin Schüler der 12. Jahrgangsstufe. Meine Frage an Sie: Befinden wir uns heutzutage noch in einer Klassengesellschaft, in der der Status der Eltern unser Leben bestimmt? Denn wie soll ein guter Schüler aus einer durchschnittlichen Familie mit Schülern, dessen Eltern diesen auf Eliteunis schicken, in der freien Wirtschaft mithalten? Aus meiner Sicht ist es nicht möglich, eine Führungsposition wie z.B Ihre mit einem „normalen“ Uniabschluss zu erreichen. Damit bestimmt Herkunft doch noch den gesellschaftlichen Stand! MFG Sebastian Schumacher

28.05.2013 18:40:04

Lieber Herr Schumacher,

Sie sprechen eine zentrale Herausforderung für unsere Gesellschaft an. Deutschland ist eine Wissensgesellschaft. Wir können es uns nicht leisten, Talente zu vernachlässigen oder ungerechte Bildungschancen hinzunehmen. Denn im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe darf kein Talent zurückbleiben. Studien zeigen, dass die soziale Herkunft immer noch sehr stark mit den Bildungs- und Karrierechancen in Verbindung steht. Der Sohn eines Arztes hat meist einen Vorteil gegenüber der Tochter eines Busfahrers. Insofern gebe ich Ihnen Recht, wenn Sie die ungerechte Chancenverteilung kritisieren.
Die Vodafone Stiftung beschäftigt sich seit Jahren sehr intensiv mit der Frage nach Bildungschancen und Bildungsgerechtigkeit und veröffentlicht dazu Analysen. Zudem unterstützt sie seit dem Jahr 2011 die Initiative „ArbeiterKind.de“. Darin engagieren sich bundesweit 5000 ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren in 80 lokalen Gruppen für Kinder aus Familien ohne Akademikerhintergrund. Die Ehrenamtlichen haben selbst studiert und erzählen von ihren eigenen Erfahrungen in Vorträgen an Schulen, aber auch in persönlichen Gesprächen. Sie stehen damit den Schülern, jungen Studierenden und deren Eltern mit wertvollen Tipps zur Seite und wirken als Vorbilder. Neben den Hürden in unserem Bildungssystem besteht oft auch ein Informationsdefizit bei Familien, in denen erstmals ein Kind studieren kann. Umso wichtiger sind Initiativen wie „ArbeiterKind.de“, die konkrete Unterstützung und Hilfestellung geben.
Und natürlich sehe ich auch jedes Unternehmen selbst in der Pflicht. Für Vodafone ist klar, dass weder die Herkunft noch der Stempel einer Elite-Hochschule etwas über die persönliche Qualifikation aussagen. Für Vodafone kann ich deshalb sagen: Natürlich können Sie meine Position mit einem „normalen“ Universitätsabschluss erreichen. Meine Alma Mater in Kiel ist eine ausgezeichnete Universität, aber sie als „Elite-Uni“ zu bezeichnen, käme mir kaum in den Sinn. Aber auch Ihnen sollte klar sein, dass allein eine gute Ausbildung nicht für einen erfolgreichen Berufsweg ausreicht. Es kommt ebenso auf Kompetenzen an, die außerhalb der Universität oder des Elternhauses erlernt werden können. Deshalb: Lassen Sie sich nicht entmutigen und gehen Sie einen eigenen Weg! Ich bin überzeugt, dass heute mehr denn je Kompetenzen und Wissen für das berufliche Fortkommen eine entscheidende Rolle spielen. Für Ihre Zukunft wünsche ich Ihnen viel Erfolg.
Beste Grüße
Ihr Jens Schulte-Bockum

30.05.2013 22:13:29

Sehr geehrter Herr Schulte-Bockum,
zuerst möchte ich mich für Ihre so ausführliche Antwort bedanken, welche ich zudem auch sehr gut finde. Ihr persönlicher Standpunkt ist mir sehr deutlich geworden und ich bin mir sicher, dass VODAFONE sich sehr für mehr Chancengleichheit engagiert.
Ich würde gerne an dieser Stelle noch etwas tiefer in diese Thematik eindringen und es wäre wieder ihre ganz persönlich Meinung gefragt. Das würde mich sehr freuen.

Somit möchte ich gerne mit einer Eingangsfrage beginnen.
Was erinnern Sie noch aus Ihrer Schulzeit?
Sicher überwiegend Positives, wenn man an die Freiräume der vergangenen Zeit denkt. Doch ich gehe stark davon aus, dass manche schlechte Klausur oder manch in seinem Handeln unergründlicher Lehrer ebenso dabei ist. Mich würde interessieren, ob Sie das Schulsystem zu Ihrer Zeit aus der heutigen Sicht befürworten oder kritisieren würden. Wie gut wurden Sie in der Schule wirklich auf das Leben vorbereitet und was wissen Sie vielleicht überhaupt noch an Stoff aus Ihrer Schulzeit?
Sie werden sich sicher schon fragen, wozu diese vorweg genommenen Fragen dienen sollen. Mir wird es im Folgendem um das deutsche Bildungssystem gehen. Denn die in meiner ersten Frage an Sie angesprochene Chancengleichheit findet im kleinsten ihren aller Anfang, nämlich im Schulsystem Deutschlands.

Jeder Schüler kennt folgende Situation:
– Der Lehrer ist eher der ruhige und gemütliche Typ und die Klasse hängt mit dem Stoff schon ein ganzes Thema der Parallelklasse hinterher, dessen Lehrer zwar streng benotet, dafür aber auch gut und anspruchsvoll unterrichtet. –
Dieses Beispiel weiten wir von den unterschiedlichen Lehrern auf die Unterschiede lokaler Schulen aus. Besser, beliebter, anspruchsvoller. Schulen, auf die die Söhne von Anwälten und Ärzten gehen (Verweis auf Ihre erste Antwort). Diese Streuung ist breit gefächert. Und damit auch die Kompetenzen der Lehrkräfte, die einen unterrichten Drogen- und Alkoholabhängige, die anderen Söhne und Töchter von Ärzten.
(Diese Vergleiche sind nicht aus der Luft gegriffen sondern entsprechenden eigener Erfahrungen und der Realität. Kann man nicht für möglich halten, wer alles heutzutage auf ein Gymnasium geht…)
Somit entsteht ein breites Spektrum von Wissensdefiziten. Dieser Vergleich weitet sich folgend auf Landes- und Bundesebene aus. Damit kommen wir zu unserem heutig bestehenden Ranking der Bundesländer im Bildungsvergleich. Bayern hat das Glück Platz 1 zu belegen, wobei Schleswig-Holstein eines der Schlusslichter bildet. Im internationalen Vergleich hat Deutschland leider einer der schlechtesten Bildungsstandards, während die skandinavischen Ländern wie z.B. Dänemark ganz oben dabei sind.
Um von Anfang an Chancengleichheit zu garantieren, muss dass Schul- und Bildungssystem in Deutschlang dringend reformiert werden. Es darf nicht mehr an den alten Standards festhalten, sondern benötigt neue Impulse, welche sicher nicht von den un-kreativen Politikern im Bildungsministerium kommen.
(An dieser Stelle möchte ich gerne hinzufügen: Selbst mein Lehrer bezeichnet die Minister als -„altmodischen Sesselfurtzer“, welche nicht um die Zustände der Schule wissen aber trotzdem meinen, Entscheidungen zu fällen.-)
Deutschland sollte sich ein Beispiel an Dänemark nehmen, dessen Schulen mit moderner Technik und Bildungsmethoden ausgestattet sind und vorausschauend lehren und unterrichten.
Wir Deutschen haben verlernt, in der Schule lernen zu lernen. Es sollte uns einst beigebracht werden, „selbstständig zu lernen und uns zu bilden“, so ein heutzutage pensionierter ehemaliger Lehrer von mir, welcher diesen Lehrauftrag noch mit Leib und Seele lebte.
(Wieso kommt ansonsten folgende Zahl zustände? – Alle deutschen Familien zusammen, welche ihre Kinder zur Nachhilfe schicken, zahlen jährlich über 1 Milliarde Euro! – Das zeugt von den Kompetenzen der deutschen Schulen…)
Doch heute werden riesige Hausaufgaben geschrieben, in Mathe wird man mit Wochenaufgaben im Ausmaß von Klausuren beauftragt, der Stoff wird uns in den Kopf „geprügelt“, auf Zwang sogar durch G8 in 12 statt 13 Jahren und jeder hofft, die Thematik nach der geschriebenen Klausur schnellstmöglich wieder aus dem Kurzzeitgedächtnis zu löschen und zu vergessen.
Damit behält kaum jemand etwas für sein Leben.
Oder erinnern Sie sich noch an die „Synthese eines Fettalkohols“?
Unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, gelernte Sachen wieder zu vergessen und wird träge. Kurz gesagt:
– Das Lernen lässt uns verdummen –

Ebenso ist keine Chancengleichheit im Studium gegeben. Die Entscheidung nach NC verhindert oftmals die Zusage eines Studienplatzes. Von den Hochschulen wird durch fehlende Auswahlverfahren zu wenig Transparenz geschaffen!
Spielen wir an Hand der bisher durcharbeiteten Thematik einmal ein Fallbeispiel durch:
Ein Junge brennt mit Leib und Seele für den Beruf als Arzt, weil er Leben retten will. Er wächst in einer intelligenten aber finanziell schwachen Familie auf. Somit geht er in einem Bundesland mit schlechter Schulbildung auf eine öffentliche Schule und bekommt von nicht kompetenten Lehrern den Stoff nicht zur genüge vermittelt. Dazu ist er vielleicht noch in einer überfüllten Klasse von 30 Schülern. Er schafft schließlich ein gutes Abitur mit 2,0. Die Kompetenzen um Arzt zu werden hat er auf alle Fälle durch eigenständiges Interesse und Lernen. Doch der NC und das fehlende Auswahlverfahren verbauen ihm diese Zukunft. Die finanziell schwache Eltern haben nicht das nötige Geld für eine Privatuni. Da hilft auch kein BaFöG. Stipendien werden ebenso nur für überdurchschnittlich intelligente Schüler vergeben, das Interesse an der Thematik Medizin bleibt außen vor.

Ich gehe davon aus, dass Sie genau wissen, worauf ich hin abziele: Wo ist die CHANCENGLEICHHEIT?!
Ebenso ist es mit den Studiengebühren in Deutschland. Finanziell schwache Familien können sich diese nicht leisten und durch BaFöG startet man schon verschuldet ins Arbeitsleben. Das kann nicht die Lösung sein!
Erneut fällt unser Blick auf Skandinavien. In Dänemark gibt es keine Studiengebühren. Da hat jeder die Möglichkeit, zu studieren.
Vielleicht sollten die Deutschen sich langsam mal fragen, warum die Skandinavier gebildeter sind.
Ich möchte damit folgendes sagen:
Chancengleichheit fängt im kleinsten an und zieht sich durch das gesamte Leben. Und es ist leider erneut festzustellen, dass Menschen mit viel Geld ihren Kindern bessere Bildung durch Privatschulen und Unis zukommen lassen können.
Daher müssen zwei existenzielle Schritte zur Veränderung der Gesellschaft und zur Schaffung der Chancengleichheit getan werden!

1. Unsere Minister im Bildungsministerium sollten mehr Geld ins Schulsystem und weniger Geld nach Griechenland stecken und dieses von Grund auf erneuern.
2. Ob Unis oder Unternehmen, Noten können heute nicht mehr als bare Münze genommen werden und umso mehr sollte auf persönliche Kompetenzen gesetzt werden! Und das erfordert die dauerhafte Mitarbeit Aller. Blicken Sie doch einfach über einen Zeugnisschnitt von 2,5 hinweg und lieber in den Menschen, der sich dahinter mit seiner einzigartigen Persönlichkeit verbirgt! Das würde ich mir für die Zukunft wünschen!

Ich weiß, dass ich ein wenig weit ausgeschweift bin, jedoch sind dies existenziellen Punkte, welche unsere heutige und zukünftige Gesellschaft formen.
Was tun Sie persönlich für mehr Chancengerechtigkeit, im Job, privat oder sogar politisch?
Ich freue mich schon jetzt auf Ihre Antwort und bin sehr gespannt.
Bis dahin wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende, welches nun ansteht.
Mit freundlichen Grüßen,
Sebastian Schumacher

Adressat/in der Frage

Jens Schulte-Bockum

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